Gastbeitrag:
Datensouveränität darf uns nicht egal sein!
Jedem Internetnutzer folgen im Schnitt 175 Tracking-Cookies am Tag - Tracking und Targeting sind allgegenwärtig. Wie man seine eigene Privatsphäre am besten schützen kann, erklärt Mozilla-CMO Jascha Kaykas-Wolff.
Dass bestimmte Daten der Nutzer gespeichert werden, ist im Grunde nicht immer schlecht. Durch Cookies ist das Surfen im Internet bequemer. Voreinstellungen bleiben erhalten und Websites funktionieren besser. Alles kein Problem – solange die Nutzer nach ihrem Einverständnis gefragt werden und immer im Bilde sind, welche Daten sie mit wem teilen.
Problematisch ist jedoch das Ausmaß, in dem Unternehmen diese Informationen ohne das Wissen der Nutzer sammeln und auswerten. Tech-Giganten erhalten – ohne deren Einverständnis – Informationen über sensibelste Nutzerdaten von Gesundheitsportalen. Menschliche Mitarbeiter werten Aufnahmen, die smarte Heimgeräte in Privathaushalten gemacht haben, im Homeoffice aus. Jedem Internetnutzer folgen im Schnitt 175 Tracking-Cookies am Tag – zumeist zu Werbezwecken.
Allgegenwärtiges Tracking
Mit jedem Klick hinterlassen die Nutzer mehr persönliche Informationen über sich, jeder Besuch auf einer Website gibt einen weiteren Teil der Persönlichkeit preis. Tracking-Cookies verfolgen sie dabei über mehrere Seiten hinweg. Unternehmen erstellen mithilfe der so gesammelten Daten detaillierte Profile über die Anwender, die beispielsweise Adressen, Geburtstage, medizinische Symptome, sexuelle Vorlieben, Ängste, Sorgen, Freuden und noch viel mehr beinhalten; manchmal sogar mehr, als die engsten Vertrauten über diese Personen wissen. Das alles wird auf Servern von Unternehmen und Werbenetzwerken gespeichert, meist unzugänglich für Privatpersonen.
Aus Sicht eines Marketing-Managers ist die Motivation, Tracker einzusetzen, verständlich: Die Technologie verspricht jedem, der sie verwendet, goldene Zeiten. Man müsse nur so viele Daten wie möglich sammeln, sie mit entsprechenden Tools analysieren, et voilà – der Verbraucher reißt einem das eigene Produkt aus der Hand.
Vertrauen ist ein wichtiger Faktor bei Kaufentscheidungen
Spoiler: So läuft es nicht. Vertrauen ist ein wichtiger Faktor bei Kaufentscheidungen und Datenskandale beschädigen die Reputation von Konzernen nachhaltig. Es hat einen Grund, warum Marketing und Werbung als die am wenigsten vertrauenswürdige Branche erscheint. Die einzigen, die sich damit langfristig eine goldene Nase verdienen, sind die Anbieter der Tracking-Technologien – und die Werbemarktplätze, aka Facebook und Google.
Werbung für Produkte ist jedoch nicht das einzige Resultat des allgegenwärtigen Trackings. Es wird auch für Zwecke eingesetzt, die tatsächlich unsere Demokratie bedrohen: Spätestens seit den Enthüllungen um Cambridge Analytica wissen wir, dass Tracking und Targeting auch zur Verbreitung von politischen Falschinformationen verwendet werden. Desinformation, die spezifisch auf die Vorlieben und politischen Einstellungen von Nutzergruppen zugeschnitten ist, beeinflusst Wahlen; Filterblasen, die durch trackingbasierte Inhaltsempfehlungen entstehen, erledigen den Rest. Das ist Realität, kein unheimliches Zukunftsszenario.
Was also kann also jede*r Einzelne tun, um sich zu schützen?
1. Alternative Produkte nutzen, die die Privatsphäre schützen
Bisher war es nicht immer einfach, die eigene Privatsphäre zu schützen: zu viele Extra-Add-ons, Apps, Einstellungen für Profis. Mittlerweile existieren jedoch verschiedene Browser, die einen eingebauten Trackingschutz bieten und einen Großteil der umständlichen Arbeit abnehmen. Zudem sorgen alternative Suchmaschinen für anonymes Surfen, bei minimalen Einschränkungen in der Genauigkeit der Suchergebnisse. Diverse alternative Email-Anbieter bieten sichere und verschlüsselte Email-Kommunikation, und auch im Bereich der Instant Messenger gibt es hervorragende Alternativen, die kein Teil von Datenkraken wie Facebook sind.
2. Die bequemste Login-Lösung vermeiden
Natürlich ist nichts umsonst – vor allem nicht die Bequemlichkeit beim Surfen. In Puncto Tracking ist jedoch der superschnelle „Login mit Facebook“ fatal. Er ist mittlerweile so allgegenwärtig, dass man sich fragen muss, welche App keine Nutzungsdaten an den Konzern sendet.
Apropos Facebook: Die kleinen „Like“-Knöpfe auf diversen Websites? Auch die senden Daten an das soziale Netzwerk. Selbst wenn kein Facebook-Profil vorhanden ist, erstellt der Konzern sogenannte Schatten-Profile über die Nutzer – um personalisierte Werbung anzuzeigen.
3. VPNs auf dem Smartphone
VPNs sind noch immer das beste Mittel, um sich anonym im Internet zu bewegen. Ist die App einmal auf dem Smartphone aktiviert, wird der Datenverkehr zum gewünschten Ziel mittels verschlüsselter Verbindung über den Server des VPN-Anbieters geleitet. So lässt sich zum Beispiel die IP-Adresse, die den Standort verrät, verstecken und einzelne Datenpakete können nicht mehr abgefangen werden. Vor allem in unsicheren offenen WLAN-Netzwerken ist ein aktives VPN von Vorteil, da die gesamte Datenübertragung Ende-zu-Ende verschlüsselt wird.
VPNs gehen leider teils zu Lasten der Surferfahrung. Die Entscheidung, ob längere Ladezeiten und Probleme mit vereinzelten Onlineshops und Videostreaming-Anbietern für mehr Sicherheit und Privatsphäre hingenommen werden können, liegt letztendlich bei den Nutzern selbst. Bei der Auswahl des Anbieters gilt: Vorsicht bei kostenfreien Angeboten und dubiosen Geschäfts- und Nutzungsbedingungen.
4. Bewusstsein schaffen, welche Funktionen was bewirken
Werbeblocker sind zwar meist super darin, Werbung zu blockieren – gegen Tracking-Cookies helfen sie jedoch nicht immer. Auch der private Modus des Browsers bietet den Nutzern gegenüber Website-Betreibern und Internetanbietern keine Anonymität, sondern sorgt vor allem dafür, dass andere Nutzer desselben Computers die Websites nicht sehen können, die zuvor besucht wurden. Was hilft, ist das Deaktivieren der Ortungsdienste auf dem Handy sowie das Ausschalten von Werbe-Tracking in den Einstellungen.
Tracking ist scheinbar überall. Viele haben den Glauben an Privatsphäre im Web verloren. Dabei können die Anwender sie ohne viel Aufwand zurückgewinnen, ohne gleich Profis für Online-Sicherheit zu werden. Es macht schon einen großen Unterschied, ein bisschen weniger bequem zu sein, sich über Alternativen zu informieren und gelegentlich Nein zu sagen, wenn ein Dienst oder eine App noch mehr Daten sammeln möchte. In diesem Sinne: Holen wir uns die Kontrolle zurück!
Über den Autor:
Jascha Kaykas-Wolff ist CMO der Mozilla Corporation und für die weltweite Marketingstrategie des quelloffenen Firefox Browsers zuständig. Die Non-Profit-Organisation Mozilla beschützt Menschen online und sorgt dafür, dass das Internet eine weltweite öffentliche und für alle zugängliche Ressource ist.