Gastbeitrag:
Blacklist-Targeting: Schwarz-weiß hilft niemandem
Corona bestimmt auch weiterhin die Medienberichterstattung und das Nutzerinteresse. Welche Maßnahmen Marketer jetzt im Bezug auf die Brand Safety unbedingt beachten sollten, verrät Anna Schenk von Semasio.
In den USA ist es derzeit das meistgeblockte Wort im digitalen Marketing: Corona. Das zeigt eine aktuelle Erhebung von Integral Ad Science und legt nahe, dass Werbetreibende aus Gründen der Brand Safety radikale Veränderungen ihrer Marketingaktivitäten vornehmen sollten. Unterstützt wird die Aussage auch durch eine Studie des Interactive Advertising Bureau (IAB), das kürzlich den Einfluss des Virus auf die amerikanischen Werbespendings untersucht hat. Die Ergebnisse sind eindeutig: Advertiser gehen zunehmend vorsichtig mit ihren Ausgaben wie auch weiteren Planungen um. Vor allem im Bereich des Performance Marketings reduzieren sich laut IAB die Maßnahmen um 45 Prozent bis Juni 2020.
Corona bestimmt das Nutzerinteresse
Als Marke nicht in der krisengeprägten Berichterstattung in Erscheinung treten zu wollen, ist eine nachvollziehbare Haltung. Doch stellt sie das ebenso vor eine gravierende Herausforderung in diesen Tagen: Es gibt wenig andere Themen, zumindest nicht auf den aktuell hochfrequentierten Nachrichtenseiten. Corona bestimmt die Medienberichterstattung und das Nutzerinteresse: Bei Zeit Online liegen die täglichen Zugriffe derzeit nach eigenen Aussagen bei 150 Prozent des Normalniveaus, auch die FAZ konnte im April einen Anstieg des Traffics um 80 Prozent verkünden. Gleichzeitig mehren sich trotz Nutzerrekorden die Stimmen aus Verlagshäusern, dass auch dort Kurzarbeit eine Option ist. Der Grund: Ausbleibende Werbegelder. Das Ad-Inventar aktuell ungenutzt bleibt, bestätigt auch sein derzeitiger Preisverfall, der stark unter Normalniveau liegt, wie OMR am Beispiel Facebook und Google aufzeigt.
Corona-bezogene Berichterstattung findet sich ressort-übergreifend
Das Marketing-Paradox ist deutlich: In der Krise vergrößern sich zwar die Chancen auf Reichweite, doch verhindert die Sorge um ein sicheres Werbeumfeld jede Maßnahme, die Zielgruppe mit relevanten und angemessenen Botschaften zu erreichen. Hier zeigt sich die Grenze von Brand Safety: Bestimmte Seiten vollständig auszuschließen, weil auf ihnen die vordefinierten Keywords erscheinen, verursacht derzeit nahezu eine komplette Werbeblockade, denn Corona-bezogene Berichterstattung findet sich ressort-übergreifend. Doch nicht alle Artikel beschäftigen sich dabei mit den negativen Aspekten der Krise wie Restriktionen, Neuinfektionen oder Todesfällen. Es gibt eine Vielzahl serviceorientierter Inhalte mit Informationen zum Nahverkehr oder zur Nahversorgung. Auch rund um das kulturelle Angebot gibt es in den Online-Medien zahlreiche Empfehlungen in Richtung Film oder Musik, daneben teilen Redaktionen Rezepte und Home Office-Tipps. Diese Umfelder sind positiv, zumindest aber neutral besetzt und eignen sich auch weiterhin für diverse werbetreibenden Unternehmen.
Granulare Werbeausspielung trotz Blacklist
Eine Situation wie die aktuelle zeigt, dass ein einfaches Keyword-Targeting nach Schwarz-Weiß-Denken oft zu simpel gedacht ist, da der Kontext von Wörtern nicht berücksichtigt wird. Die Folge ist, dass auch passende Seiten und Inhalte ausgeschlossen werden und die entsprechende Reichweite verloren geht. Das mag als erste Reaktion auf die Pandemie richtig gewesen sein, um unangenehme Werbeerlebnisse in diesem Zusammenhang zu vermeiden. Nun aber sollten sich Werbetreibende verstärkt damit auseinandersetzen, wie sie eine granulare Aussteuerung ihrer Werbung möglich machen können, um auch weiterhin interessierte Zielgruppen zu erreichen und sie durch eine eingeschränkte Aussteuerung nicht flächendeckend abzuschneiden. Klar ist, dass Corona noch über Monate ein bestimmendes Thema bleiben wird.
Daher ist es weiterhin wichtig, mit den Blacklist-Keywords behutsam umzugehen und sich als Werbetreibender sehr spezifisch damit auseinanderzusetzen, in welchem inhaltlichen Zusammenhang Werbung tatsächlich negativ wahrgenommen wird und in welchem Kontext sie neutral oder sogar positiv genutzt werden kann. Die gute Nachricht ist, dass eine granulare Werbeplanung auch in schwierigen Umfeldern dank Machine Learning längst möglich ist, indem Tools zum Einsatz kommen, die semantische Zusammenhänge erkennen und den Kontext verstehen - automatisiert und fortlaufend. Entsprechende Maßnahmen können den Anspruch an Brand Safety gewährleisten, die Werber ohne Frage unbedingt aufrechterhalten müssen.
Damit die Branche aus dem oben erwähnten Marketing-Paradox Reichweite vs. Sicherheit herauskommt, müssen Advertiser einen kühlen Kopf bewahren und individuell pro Marke, Produkt oder sogar Werbebotschaft entscheiden, in welchem Zusammenhang eine Ausspielung in den kommenden Monaten möglich ist. Durch eine gezielte Planung und angepasstes Targeting können Brands wie Publisher Wege finden, auch in dieser Krisenzeit voneinander zu profitieren und weiterhin relevante Botschaften an die vorhandene Zielgruppe senden.
Autorin:
Anna Schenk ist Geschäftsführerin EMEA des Unified Semantic Targeting Anbieters Semasio und seit 2011 im Hamburger Unternehmen. Zuvor war sie als Beraterin für Online-Mediaplanung und später für Online-Technologien bei der Pilotgruppe sowie Online Marketing Managerin bei Blume2000 New Media AG.
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