Kommentar:
Pressezensur tötet: Eine Lektion aus der Coronakrise
Die Coronakrise erschüttert vieles. Auch die Glaubwürdigkeit manipulierter Krisen-Informationen. Vor allem China muss bitter lernen, dass Pressezensur tödlich sein kann. Ein Kommentar von Christiane Goetz-Weimer.
Li Wenliang ist ein Held der Corona-Pandemie. Der mutige Arzt aus Wuhan hatte frühzeitig vor einer Häufung von Infektionen mit einem gefährlichen Virus gewarnt. Er wollte Alarm schlagen vor dem Ausbruch der neuen, aggressiven Lungenerkrankung. Das passte den Machthabern und ihrer Partei nicht ins Propaganda-Bild vom großartigen, modernen China.
Er wurde von der Polizei verhört, drangsaliert, verwarnt und durfte über die beginnende Epidemie zunächst nichts mehr verbreiten. Denn schlechte Nachrichten gelten der Zentralregierung gegenüber als Indiz für politisches Versagen. Er musste mit anderen Ärzten sogar ein Zensurpapier unterschreiben, dass sie nichts mehr über den Ausbruch enthüllen. Wenige Tage später infizierte sich der Arzt selbst bei einer Patientin und starb kurz darauf.
Der Tod des 34-jährigen Arztes wurde zum Game-Changer der Corona-Krise in China. Denn die Bevölkerung reagierte wütend darauf, dass der mahnende Arzt mundtot gemacht wurde. Sein Schicksal symbolisiert seither die Folgen der Vertuschung und langsamen Reaktion der Behörden in einer unfreien Gesellschaft.
Hätte es in China das Recht auf freie Presse gegeben
Li Wenliang ist heute ein Held des Volkes und zugleich eine Mahnung, dass Zensur von Presse und Kommunikation nicht nur undemokratisch ist, sondern töten kann. Hätte es in China das Recht auf freie Rede und eine freie Presse gegeben, die Li Wenliangs hätten früher Alarm schlagen und die Gesellschaft sich besser schützen können.
Über Wochen hinweg hatte der Virus viel mehr Menschen getroffen als das Parteiregime offiziell zugegeben wollte. Die chinesische Führung geriet darum mit dem dramatischen Ausbruch innenpolitisch massiv unter Druck, denn in der Bevölkerung wuchs Wut auf die Machthaber. Hunderte Millionen Menschen informieren sich seither kaum mehr über die Staatsmedien, sondern übers Netz. Das tief sitzende Misstrauen führt dazu, dass panischen Gerüchten in Chat-Diensten mehr geglaubt wird als den geschönten Berichten der gelenkten Staatsmedien.
Für das kommunistische Regime ist die Stimmungslage bedrohlich, weil ihre gesamte Legitimation stillschweigend darauf beruht, dass die Bürger Freiheiten opfern, dafür aber Wohlstand und Sicherheit garantiert bekommen. Wenn nun mit der Gesundheit die wichtigste aller Sicherheiten nicht mehr geschützt werden kann und alle erkennen, dass Freiheiten – insbesondere auch die Freiheit von Medien – zum schieren Lebensschutz dringend gebraucht werden, droht das System seine Autorität zu verlieren.
Die Krise: eine Chance für die Pressefreiheit
In Deutschland indes hatte sich zu Beginn der Corona-Krise Medienbashing einmal mehr zum Volkssport Nummer Eins entwickelt. Selbst den gemeinhin als seriös eingestuften Medien wurde „unerträgliche Panikmache“ vorgeworfen. Heute wäre es vielen Bürgern lieber, sie und die Politik hätten die alarmierenden Berichte ernster genommen und früher vorgesorgt. Aus der Corona-Krise werden die Deutschen vieles lernen müssen. Wenn sie endlich einmal die Pressefreiheit neu schätzen und dafür offensiv einzutreten lernten, so wäre Krise hier auch Chance.
Staatspräsident Xi Jinping hat die politische Brisanz der Lage erkannt und gab plötzlich die Losung aus, möglichst viel Offenheit walten lassen. Wer Infektionen in seiner Region vertusche oder seine eigenen politischen Interessen über die Gesundheit des Volkes stelle, müsse mit schweren Strafen rechnen. Kader würden „für die Ewigkeit an den Pranger der Schande genagelt“, sollten sie Krankheitsfälle unterschlagen. Sogar eine App wurde freigeschaltet, in der Bürger Vertuschungen von lokalen Funktionären und Behörden anprangern können.
Und auch Wenliang wurde plötzlich zum Helden des Sozialismus erklärt.
Doch für viele Chinesen bleibt sein Tod ein Symbol für das Versagen einer unfreien Parteiendiktatur. Bis heute lässt das Regime in Peking äußere Kritik am Vorgehen der Behörden im Internet weiterhin weiträumig löschen. Kritische Kommentare insbesondere aus Hongkong werden getilgt, selbst in privaten Nachrichtenchats regiert Zensur.
Peking erlaubt nur die Kritik aus der Partei an der Partei. Das Regime hat offenbar Angst vor der viralen Vertrauenskrise. Denn am Ende könnte der Corona-Virus auch das Machtsystem der Kommunistischen Partei erschüttern. Es vereinen sich derzeit die Freiheitsbewegung der Hongkong-Chinesen mit dem Freiheitsruf der Virusbedrohten. Die Freiheit von Presse und Informationen ist – und das zeigt die Epidemie grausam klar – zuweilen überlebenswichtig.
Christiane Goetz-Weimer ist eine deutsche Verlegerin und Publizistin. 2012 gründete sie mit ihrem Ehemann Wolfram Weimer die Weimer Media Group, in der unter anderen der Wirtschaftskurier, Börse am Sonntag und The European verlegt werden. Als Verlegerin leitet sie auch das Spitzentreffen Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee, die Zeichensetzer-Veranstaltung Signs Award in Berlin sowie die Mittelstandspreis-Markengala in Frankfurt. Die ehemalige Redakteurin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gründete bereits 2001 den CH. Goetz Verlag in Potsdam, der Zeitschriften, Sachbücher über Politik, Historie und Wirtschaft und Belletristik-Werke verlegt.