"Deutschland hat eine Ingenieurskultur. Alles funktioniert gut, ist aber nicht immer praktisch gedacht"

Auch Agenturen haben so ihren Stress damit.

Natürlich, uns brummt manchmal der Kopf bei dem Tempo. Aber auch für Agenturen birgt die Digitalisierung Möglichkeiten, ihren eigenen Wirkungskreis zu erweitern und neben Werbung auch Business-Strategien zu entwickeln, sie technisch umzusetzen. Die jungen Kreativen wollen das auch. Die kommen zu uns und haben genug von klassischen Kampagnen, hinter denen sie nicht stehen, weil sie nicht wissen, wie sie entstanden sind. Die wollen sehr nah ran an den Konsumenten und für sie Angebote machen.

Was empfehlen Sie Agenturen also?

Sie sollten in Datenanalyse investieren, um Verbraucherbedürfnisse noch besser zu verstehen und findige, digitale Lösungen dafür entwickeln. Und meist reicht für die Business-Probleme der Kunden bloße Kommunikation nicht aus.

In den USA ist so etwas sicher einfacher als hierzulande.

Natürlich gibt es kulturelle Unterschiede. Deutschland hat eine Ingenieurskultur. Alles funktioniert unglaublich gut, aber es ist nicht immer praktisch gedacht, man geht bedacht vor. Die Amerikaner sind die praktischsten Menschen der Welt und sie sind optimistisch. Sie gehen einfach drauf los. Mit den Schattenseiten, dass hier zum Beispiel über Facebook die Wahlen beeinflusst wurden. Am Ende trifft man sich in der Mitte.

"Wir Agenturen stehen ganz vorne bei der Digitalisierung. Wir müssen sie mitgestalten."

Sprechen wir über KI. Sie forschen ja viel dazu über die bloße Markenkommunikation hinaus. Glauben Sie, dass uns die künstliche Intelligenz ein besseres Leben bescheren wird?

Ich sehe das Potenzial, aber auch die Gefahren. Zunächst einmal ist KI eine Bedrohung sämtlicher White-Collar-Jobs. Hat die industrielle Revolution das Handwerk verändert, sind jetzt die Akademiker an der Reihe. Ich verstehe die Angst der Menschen. Und jeder Algorithmus ist nur so gut wie die Gesellschaft, von der er lernt. Die KI hat kein Gewissen. Sie kann also auch eine Menge Schaden anrichten. Die US-Regierung hat zum Beispiel jüngst versucht, mit einer KI zu entscheiden, ob aus Gefängnissen Insassen früher entlassen werden können. Das Experiment ist gescheitert, der Algorithmus war total rassistisch.

Das Risiko der Manipulation ist hoch.

Alle Leute haben Alexa bei sich zuhause stehen. Sobald Maschinen anfangen zu sprechen, bauen wir eine Beziehung zu ihnen auf. Das ist menschlich. Aber die Maschine ist kein Mensch. Versteht ein Algorithmus unsere Gefühle, aufgrund von Stimme, Gesicht, biometrischen Daten, werden wir verletzlich, dann ist eine emotionale Manipulation möglich. Das hat schon ein ganz anderes Niveau als das, was Werbung heute macht, wenn sie versucht, eine Begehrlichkeit zu schaffen. Im Prinzip müssten darüber Ethikkommissionen diskutieren. Aber auch wir Agenturen! Denn wir stehen als Speerspitze ganz vorne bei dieser Entwicklung. Wir müssen sie mitgestalten.

Wie sieht vor diesem Hintergrund die Markenkommunikation der Zukunft aus?

Was KI angeht, lässt sich das noch gar nicht sagen. Irgendwann einmal werden nicht mehr wir lernen müssen, wo ich klicken muss, sondern der Computer wird mich stumm verstehen, egal wo ich bin, geräteunabhängig. Es wird ganz neue Interfaces geben, oder gar keine mehr. Das wird natürlich auch die Markenkommunikation verändern. Und der gewissenhafte Umgang mit Benutzerdaten wird noch wichtiger, der Benutzer muss die Kontrolle behalten. Die Zukunft hat gerade erst begonnen.

Die Berlinerin Sophie Kleber studierte an der Berliner Universität der Künste (Industrial Design) und der Fachhochschule Potsdam (Communication Design). Während ihres Fulbright-Aufenthaltes in New York entdeckte sie Digital Design und wusste, das ist die Zukunft für sie. Nach dem Studium zog es sie zurück nach New York und Kleber stieg bei Huge ein, einer Digitalagentur, die konsequent kundenzentriert arbeitet. Es geht um UX, Kommunikation, Marken, aber auch Produkte, Dienstleistungen und Business-Strategien rund um Verbraucherbedürfnisse. Heute ist sie dort Global Executive Creative Director. Kleber liebt ihren Job: "Wir leben in einer aufregenden Zeit. Es ist ein permanentes Trial and Error und wir sind vorne mit dabei." Huge betreut Kunden wie Google, Canada Goose, Gucci, LG und Nike. Kleber veröffentlicht regelmäßig im Harvard Business Review und hält Vorträge über KI, unter anderem bei den Cannes Lions und SXSW oder hier auf YouTube mit dem GWA-Discoverer Martin:

 


Conrad Breyer, W&V
Autor: Conrad Breyer

Er kam über Umwege zur W&V. Als Allrounder sollte er nach seinem Volontoriat bei Media & Marketing einst beim Kontakter als Reporter einfach nur aushelfen, blieb dann aber und machte seinen Weg im Verlag. Conrad interessiert sich für alles, was Werber- und Marketer:innen unter den Nägeln brennt. Seine Schwerpunktthemen sind UX, Kreation, Agenturstrategie. Privat engagiert er sich für LGBTQI*-Rechte, insbesondere in der Ukraine.