Social TV: Sender werden das TV der Zukunft kaum noch prägen
Beim 1. Deutschen Social TV Summit in den Räumen der Medienanstalt BLM tauschen sich Experten über das vernetzte Miteinander von klassischem TV und parallelem Agieren in sozialen Netzwerken aus. Schnell wird klar: Unterhaltung wird künftig – gerade beim jungen Publikum – neu definiert.
Social TV – das vernetzte Miteinander von klassischem TV und parallelem Agieren in sozialen Netzwerken – ist auf dem Vormarsch. Laut einer Nielsen-Studie surften im vergangenen Jahr bereits 86 Prozent der US-Bürger im Internet parallel zum TV-Konsum oder verschickten SMS. Die Zahl der Zuschauer, die zeitgleich zum Fernsehen Facebook, Twitter oder YouTube nutzen, liegt nach einer Analyse von Ericsson bereits bei 40 Prozent. Twitter wird mittlerweile in jede große US-Show integriert. Wer verändert nun das Fernsehen der Zukunft?Ist es das Social Web? Die Sender? Die Gerätehersteller mit ihrem Hang zum Smart-TV, das Fernsehen und Surfen verbinden kann? Eine der zentralen Fragen, die auf dem 1. Deutschen Social TV Summit in München gestellt werden. Eingeladen hat die bayerische Medienanstalt BLM.
Experten wie Christian Clawien, Director Social & Emerging bei Media Interone in Hamburg, gehen davon aus, dass die Sender das Fernsehen der Zukunft nur bedingt prägen werden – „noch eher die Privaten als die Öffentlich-Rechtlichen“. Clawien sieht die Treiber bei den Plattformen, bei Amazon, Google, Facebook oder kleineren Netzwerken, aber auch bei den Herstellern wie Samsung, der beispielsweise eine Social-TV-App auf den neuen Geräten integriert. Er appelliert auch gleich an die Werbekunden, den neuen Weg zu beschreiten. Die Marken müssten es schaffen, sich den Veränderungen zu stellen – so müssten TV-Spots der Werbekunden stets die Mitmach-Komponente enthalten. Noch sei das eine Seltenheit, mahnt Clawien an – als positives Beispiel führt er den Polarbär von Coca-Cola an, der nach seiner TV-Premiere beim Superbowl für Furore bei Youtube und Facebook gesorgt hat. Mediacom-Manager Jörg Blumtritt zieht beispielsweise wichtige Erkenntnisse über Werbung, Marken, Vorlieben und Nutzungssituationen aus den Reaktionen im Social Web – vebunden mit Fernsehen, das dort nach wie vor das Hauptthema sei. Lob kommt von dem Media-Interone-Manager Clawien für TV-Formate wie „Berlin – Tag & Nacht“, mit dem RTL II aus seiner Sicht „auf den Zuschauer zukommt“. Dies sei ein wichtiger Punkt für gelungenes Social TV.
Google-Manager Joel Berger, der früher für MTV oder MySpace gewirkt hat und beim Suchmaschinengiganten den Titel „Industry Leader Media & Entertainment“ trägt, sieht Social TV in Deutschland durchaus noch in den Kinderschuhen. Entsprechende Apps würden so wirken wie einst die ersten Smartphones, bevor das iPhone von Apple Einzug gehalten habe. Eine Killerapplikation fehle noch – so Berger, der betont, dass Social TV auf die Marken der Sender einzahle und einen Mehrwert für die Zuschauer/User biete.
Eun-Kyung Park, die heute den ProSiebenSat.1-Sender Sixx lenkt und zuvor die Digitalgeschäfte der TV-AG mitgetragen hat, vergleicht Social TV mit einer Schule für TV-Macher. Der Konzern habe beispielsweise bei der Castingshow „The Voice of Germany“ durch User-Kommentare ganz schnell lernen müssen, was die Zuschauer wirklich auf dem „first screen“ sehen wollen. Unterhaltung werde künftig – gerade beim jungen Publikum – neu definiert. Der Rückkanal durch Facebook, Twitter und Konsorten zeige den Sendern den Geschmack auf. Bertram Gugel von Gugel Productions mahnt, dass Fernsehen durch Social TV dazu gezwungen werde, noch bessere Inhalte zu liefern. Denn „gut genug“ zum "Angucken" sei schon Vieles bei YouTube.
Welche Möglichkeiten biete nun Social TV? Gugel nennt dazu vier Aspekte: die Personalisierung des TV-Programms, die Interaktion mit und über Fernsehinhalte in sozialen Netzwerken oder innerhalb von Second Screen-Applikationen, die Virtualisierung des sozialen Kontextes („die Couch wird ins Internet verlagert“) und den Aufbau einer verstärkten Zuschauerbindung. So probiere die BBC in ihrem Projekt Perspective Media beispielsweise gerade aus, wie aus sozialen Netzwerken personalisierte TV-Guides entstehen könnten. Die klassischen Sender müssten jetzt dringend umdenken und bereits bei der Programmgestaltung die Interaktion mitdenken. Gerade die Adressierbarkeit des Programms sei der große Vorteil von Social TV. Aber dieser Lernprozess sei wie beim Wandel vom Stummfilm zum Tonfilm mühsam.
Ähnlich wie Park spricht auch Blogger und TV-Moderator Richard Gutjahr von einem „Lernprozess“. Seine Erfahrung aus dem Experiment „Rundshow“ im BR Fernsehen aus Journalistensicht: "Wir müssen lernen, mit Kritik und Feedback umzugehen. Wir Journalisten haben uns zu sehr darauf eingerichtet, immer das letzte Wort zu haben."