VZ-Chefin Stefanie Waehlert: "Es sind alle Optionen denkbar"
Neue Marke, neues Konzept, weniger Personal: Holtzbrincks kriselnde VZ-Gruppe muss komplett umgebaut werden. Im W&V-Interview erklärt VZ-Chefin Stefanie Waehlert, wie es jetzt weitergeht.
Die erste Entscheidung von VZ-Chefin Stefanie Waehlert ist gefallen. Der Plattform-Betreiber VZ-Netzwerke heißt künftig Poolworks und SchülerVZ wird umpositioniert zu einer interessenbasierten Contentplattform zum Austausch und Entwickeln von Fähigkeiten. Im ausführlichem W&V-Interview erklärt Waehlert, was das genau bedeutet.
Frau Waehlert, viele Branchenbeobachter hatten schon lange gefordert, dass sich VZ-Netzwerke auf SchülerVZ fokussieren. Nun kommt Idpool. Warum hat es so lange gedauert?
Als ich Ende 2011 zu VZ kam, war die Gesamtsituation sehr herausfordernd. Wir haben viele Optionen durchdacht, da darf nichts übereilt oder am grünen Tisch entschieden werden. Im Grunde mussten wir aber weg vom generalistischen Ansatz und hin zu einer Vertikalisierung. Spitze Angebote mit fokussierten Ansätzen nehmen an Zahl und Bedeutung zu. Darin liegt die Zukunft.
Sie sprechen in der Pressemitteilung von einem Befreiungsschlag.
Die Veränderungen sind fundamental: Wir firmieren mit dem Unternehmen in Poolworks um, gleichzeitig benennen wir SchülerVZ in IDPOOL um und bringen ein neues Produkt heraus. Das geht einher mit einer Umstrukturierung des Unternehmens. Das nenne ich eine tiefgreifende Veränderung und einen Befreiungsschlag.
Haben Sie zu lange gewartet?
Ich habe mir die Zeit genommen, mich intensiv mit allen Optionen für VZ auseinanderzusetzen. Dazu gehört die Entwicklung tragfähiger Produktkonzepte zusammen mit betriebswirtschaftlichen Optionen und nicht zuletzt daran angeschlossene Marktforschungen.
Trotzdem mussten sie nun 25 Mitarbeiter entlassen.
Auch das war leider notwendig, um die Zukunftsfähigkeit zu erhalten. Die Entlassungen betrafen alle Bereiche. Zudem haben wir unsere Techniker in die Neugründung Devbliss ausgelagert, denn hier steckt eine schnelle Wachstumsperspektive – auch für Neueinstellungen – mit gruppenübergreifenden digitalen Projekten. Wir bleiben allerdings deren Hauptkunde. Zwei Drittel der Mitarbeiter arbeiten dort fest für alle Poolworks-Projekte.
Werden nach Idpool analog zur VZ-Logik weitere Pool-Seiten gelauncht?
Grundsätzlich ist das vorstellbar. Wir haben es so angelegt, dass eine Pool-Familie möglich ist. Aber der absolute Schwerpunkt ist nun, IDPOOL erfolgreich im Markt zu platzieren. Das ist der erste Schritt.
Bisher haben Sie nur den Namen genannt. Idpool startet im vierten Quartal. Der Austausch von Fähigkeiten und Interessen ist ja grundsätzlich nichts Neues. Nennen Sie doch ein paar Details.
Kommunizieren können Sie überall, es kommt auf die technologische Basis an. Wir wollen weg vom generalistischen Ansatz wie ihn Facebook darstellt. Die Mitglieder sollen auf unserem Netzwerk ihre Fähigkeiten entwickeln und darstellen und sich darüber mit anderen austauschen. Die Facebook-ähnlichen Funktionen sind dann für uns nur noch Commodity, wir bauen neue Features darauf auf. IDPOOL ist eine Neuausrichtung von SchülerVZ mit seiner hochinteressanten Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen. Wir sind heute schon stark am Markt positioniert mit einem sehr guten Daten- und Jugendschutz. Diese führende Marktposition wollen wir weiter ausbauen. Der neue Ansatz ergänzt perfekt das vertikale Education-Portfolio von Holtzbrinck Digital.
Zum Beispiel?
Waehlert: Unsere Zielgruppe generiert ja laufend Fotos, Videos und Texte. Wenn ich etwa extrem gut im Stylen bin, kann ich Tipps mit anderen teilen und mich darstellen. Etwa als Tutorials oder Lehrfilme. Das funktioniert auch mit Skateboarden oder dem Spielen eines Instruments. In der nächsten Stufe kommen dann Lerninhalte dazu. Aber auch hier wollen wir die User richtig abholen. Das Spielerische wird auch bei edukativen Inhalten zentrales Moment bleiben, nur so gehen die User den Weg mit.
Trotzden müssen Sie den Nutzern das neue Konzept erst einmal vermitteln.
Wir haben einen Stufenplan. Zunächst launchen wir die neue Website und beschränken uns hier auf Freizeitthemen. Perspektivisch erweitern wir die Plattform um schulische Lerninhalte. Das müssen sie aber für die Zielgruppe eher subtil gestalten, sonst laufen sie davon. Holtzbrinck ist beim Thema Bildung mit seiner Verlagsgruppe ja extrem gut aufgestellt. Wir können auf Content der Verlagsgruppe zurückgreifen beispielsweise auf Inhalte von Zeit Leo. Im späteren Ausbau mit schulischen Inhalten ist eine Vernetzung mit Angeboten wie der Mathe-Lernplattform bettermarks.de oder der Nachhilfe-Website Tutoria.de denkbar.
Müssen Sie dann auch die Mitarbeiter umschulen? Auch Schlecker-Mitarbeiterinnen können bekanntlich nicht sofort als Erzieherinnen arbeiten.
Für den ersten Ansatz mit den Freizeit-Themen ist dies nicht nötig. Parallell dazu integrieren wir professionellen Content von Partnern. Im Zentrum steht die technologische Umsetzung eines Edu-Angebotes, das bieten wir und das können wir. Ein kleines Team rund um Content und Redaktion bauen wir neu auf.
Bertelsmann hat im Bereich Bildung mit der Lernplattform Scoyo.de viel Geld verbrannt.
Waehlert: Vielleicht war es einfach noch zu früh. Und wir kommen ja aus einer ganz anderen Situation, weil wir die Community schon haben. Scoyo ist meiner Meinung nach auch viel zu schnell und direkt auf Lerninhalte und Paid Content gegangen.
Wie gestalten sie den Übergang?
Wir unterscheiden zwischen Bestandsnutzern, inaktiven und neuen Nutzern. Für aktive Nutzer wird es einen weichen Cut geben mit einem moderierten Übergang, der die Vorteile heraushebt und die User mit auf eine Entdeckungsreise nimmt. Die inaktiven Nutzer werden mit einem überzeugenden Produktversprechen etwa über Mailings neu abgeholt und wieder integriert. Was neue Nutzer anbetrifft erwarten wir die klassischen Exponentialeffekte, nur dieses Mal über Interessen.
Nehmen Sie dazu auch neues Geld in die Hand – etwa für eine Werbekampagne?
Es wird eine Kampagne geben. Natürlich hauptsächlich im Internet. Noch stehen allerdings weder Agenturen noch Zeitraum fest. Wir befinden uns außerdem in Gesprächen mit potenziellen Medienpartnern.
Sprechen wir über die Finanzierung. Setzen Sie weiterhin auf Werbung?
Die Haupteinnahmequelle bleibt Werbung. Wir werden mit IdpoolL ein innovatives Angebot für Jugendliche präsentieren: Mit neuartigen Ansätzen für Viralität im Social Media Bereich – Stichwort Social Content – neuen KPIs und damit insgesamt neuen Möglichkeiten für reichweitenstarke Kampagnen. Mit dem Launch von IDPOOL werden wir beispielsweise aus dem Stand über relevante Bewegtbildreichweiten verfügen und neue Einnahmequellen erschließen. Allerdings wollen wir auch hochwertigen Content bereitstellen, für den später Abomodelle oder Pay Content-Modelle denkbar sind.
Verfügen Sie künftig über eine eigene Vermarktungseinheit?
Diese bleibt definitiv erhalten, auch mit unserem Verkaufschef Stefan Benno Müller. Ebenso die Zusammenarbeit mit unserem Vermarkter iq. Unser Selbsteinbuchungstool bieten wir weiterhin an. Bald sogar mit Videoformaten und Einbindung auf unseren mobilen Seiten. Allerdings beenden wir das Angebot einer Fremdvermarktung, wie wir es eine Zeitlang für MySpace praktiziert haben.
Werbung erfordert hohe Zugriffs- und Reichweitenzahlen.
Wir stecken viel Kraft in die Stabilisierung dieser Zahlen. Zwar haben die Reichweitenzahlen über die letzten Monate abgenommen, aber unsere Plattformen sind nach wie vor im Relevant Set vieler Agenturen und Vermarkter. Bis zum Launch halten wir deshalb auch den Aktivitäts-Level hoch. Für IDPOOL bieten wir dann wie gesagt neue starke Features. Die Stärke eines sozialen Jugendnetzwerkes besteht aus Sicht der werbetreibenden Industrie ganz klar in der Minimierung der Streuverluste. Wenn Sie sich auf dem Markt umschauen, sehen Sie heute schon keine vergleichbaren Angebote im Netz. Das macht uns einzigartig. Wir sind heute schon das stärkste Jugendangebot in Deutschland und bauen das weiter aus.
Sie agieren dabei relativ intransparent und zählen die Nutzer der drei VZ-Seiten zusammen. Wird es vor dem Relaunch getrennte Ausweisungen der verschiedenen VZ-Netzwerke geben?
Natürlich wird es ab Launch von Idpool eine Einzelausweisung geben. Bis dahin werden wir aggregiert ausgewiesen.
Was passiert mit MeinVZ und StudiVZ? Kommt hier der angekündigte Relaunch?
Das steht noch nicht fest. Wir treffen diese Entscheidung erst für das vierte Quartal.
Das heißt, Sie lassen es einfach auslaufen?
Wie gesagt: Es sind alle Optionen denkbar. Wir sind aber noch mitten in der Prüfung verschiedener Varianten mit dem Gesellschafter. Bis dahin laufen die Plattformen Voll-Speed weiter, das sehen Sie auch an unseren derzeitigen Marketingaktivitäten, die sehr gut angenommen werden. Wir wollen unseren Sales-Kunden attraktive Angebote auf Basis der zu den jeweiligen Zeitpunkten existierenden Reichweiten machen, so dass die Vorteile in jedem Fall klar auf der Hand liegen. In 2012 kommt es definitiv nicht zu einer anderen Lösung für meinVZ und studiVZ als der derzeitigen.
Wollen sie damit die beiden Plattformen attraktiv für einen Verkauf machen? Gibt es überhaupt Interessenten?
Waehlert: Ein Verkauf steht derzeit nicht zur Diskussion.
Das Format "Kopf der Woche" in der aktuellen Ausgabe der W&V (24/2012) porträtiert den Mensch Stefanie Waehlert.