"Facebook bringt der Marke weniger als man sich einredet"
Christoph Kappes war Agenturgründer und Pixelpark-Geschäftsführer, heute berät er Unternehmen, bloggt und schreibt für die "FAZ". Im Gespräch mit W&V Online erklärt er, warum Social Media überschätzt wird und wieso Kommunikation nicht alles ist.
Christoph Kappes ist alles andere als ein hoffnungsloser Analog-Romantiker. Der frühere Pixelpark-Geschäftsführer mischt seit über 20 Jahren im Internet-Geschäft mit, derzeit als Kopf der Unternehmsberatung Fructus, als Blogger und als "FAZ"-Autor. Der erfahrene Digital-Manager warnt vor zu naiven Erwartungen an Social Media.
Herr Kappes, wissen Sie, wieviele Facebook-Fans die Wurstmarke Rügenwalder hat?
Nein, aber ich gehöre auch nicht ganz zur Zielgruppe. Es gibt wahrscheinlich bedeutendere Wurstesser als mich. Warum fragen Sie?
Die bundesweite TV-Marke Rügenwalder gilt als Vorbild in Sachen Facebook-Marketing und hat trotzdem nur rund 17.000 Fans. Das entspricht noch nicht einmal der Einwohnerschaft von Bad Zwischenahn, dem Firmensitz von Rügenwalder. Wird Facebook von Markenartiklern überschätzt?
Ich fürchte, Facebook bringt der Marke weniger als man es sich häufig einredet. Das fängt schon bei den sehr eingeschränkten Gestaltungsmöglichkeiten an: Facebook zwängt den Markenauftritt in ein relativ starres Design-Korsett mit Standard-Interaktionstypen. Marke lebt aber von Unterscheidbarkeit. Und wenn auf der Fanpage dann ein Film abgespielt werden kann, kommt einem das Format doch von irgendwoher bekannt vor. Klar, wir haben Beziehungen von Menschen und virale Effekte, dafür braucht es aber keine vollständigen Plattformen, dafür genügen soziale Funktionen auf eigenen Websites. Und "Fan-haben" ist streng genommen nur ein "Klick-Gewesen". Entscheidend ist nicht die Anzahl Fans, sondern was dann an Kommunikation geschieht.
Rügenwalder, Ritter Sport oder Pril versuchen ja, sich inhaltlich vom Wettbewerb abzugrenzen: Sie lassen ihre Fans Markenprodukte entwickeln.
Ja, aber auch das funktioniert nur bis zu einem bestimmten Grad und längst nicht immer. Crowdsourcing ist ja gut und schön, aber ich glaube trotzdem nicht, dass Marken ein demokratisches Gut sind.
Warum nicht?
Eine Marke, die sich allein über den momentanen Kundengeschmack definiert, wird sehr schnell beliebig. Sie darf aber niemals den Eindruck vermitteln, austauschbar zu sein. Denn ihr Sinn ist es, für den Käufer identitätsstiftend zu wirken und Dritten gegenüber eine Abgrenzungsmerkmal zu sein. Ein weiteres Missverständnis ist, dass jede Marke ständig kommunizieren und interagieren muss. Manche Marken leben ja sogar von der Distanz.
Das würden hartgesottene Social-Media-Fans aber anders sehen.
Kann sein. Aber hartgesottene Social-Media-Fans haben dann wohl nicht gesehen, wie distanziert ausgerechnet die großen, erfolgreichen Internet-Giganten kommunizieren: Eric Schmidt bringt es auf zwei unpersönliche Tweets im Monat und Google hat zwar drei Millionen Fans, postet dort aber auch nur das, was in den Google Blogs steht. Steve Jobs ist berühmt für seinen rüden Ton, und auf Facebook ist Apple gar nicht, verkauft sich aber trotzdem auch so ganz gut.
Manche Marken leben nun mal vom Nimbus der Exklusivität. Oder können Sie sich einen Porsche-Fahrer vorstellen, der auf Facebook-Postings steht? In dieser Preisklasse wird anders kommuniziert und auch so, dass mit gewisser Form und gewissem Rahmen eine gewisse Werthaltigkeit zum Ausdruck gebracht werden soll, mag das nun rational gerechtfertigt sein oder nicht.
Die britische Königin ist auch auf Facebook.
Ja, aber sie beantwortet keine Anfragen auf Facebook. Aus gutem Grund. Dazu kommt, dass der ursprüngliche und gute Gedanke, Kommunikation in kleinen Beziehungsnetzen zu fördern, bei den heutigen großen Marken so nicht funktioniert: bei drei Millionen Fans ist das konzeptionell wieder Massenkommunikation - genau so wie bei der Queen.