Apple-Designer Hartmut Esslinger: "Gehirn schlägt Geld"
Er hat das weiße Apple-Design geschaffen und den Windows-Media-Player gestaltet: Hartmut Esslinger gehört zu den einflussreichsten Produktdesignern der Welt . Im W&V-Interview geißelt er fehlende Inspiration und verlogene Produkte.
Er hat das weiße Apple-Design geschaffen und den Windows-Media-Player gestaltet: Hartmut Esslinger gehört zu den einflussreichsten Produktdesignern der Welt . Im W&V-Interview geißelt er fehlende Inspiration und verlogene Produkte.
W&V Herr Esslinger, „form follows emotion“ ist einer Ihrer Leitsprüche – in Abwandlung des berühmten Satzes „form follows function“. Ist emotionale Gestaltung wichtiger als die Funktion eines Objekts?
Esslinger Der Architekt Louis Sullivan sagte am Ende seines Manifests zu Natur und Architektur: „Form ever follows function.“ Er hat aber nicht gesagt, „Design muss langweilig sein, und Architektur muss nur aus Kisten bestehen“. Seine Aussage wurde so stark vereinfacht, dass man es fast primitiv nennen kann. Damals wie heute wird „form follows function“ als Entschuldigung genommen, um Dinge teuer, langweilig und primitiv zu machen. Mein Antrieb war schon immer, etwas zu tun, das das Leben der Menschen funktional und emotional verbessert. Das ist die natürliche Aufgabe von Designern, da kann man gar nicht darüber hinwegschauen. Es muss menschlich sein.
W&V Sie haben vor 40 Jahren die Agentur Frog Design gegründet. Hat sich seither das Design insgesamt verbessert?
Esslinger Es gibt zwar mehr Design, aber immer noch zu wenig Design als strategische Methode und Mittel zur besseren Unternehmensführung. Wenn ich heute noch einen Stuhl gestalte, von dem es im Prinzip schon zehntausende gibt, und auf dem man auch nicht bequem sitzen kann, verändere ich nichts. Wenn Sie aber in Afrika eine mobile Anwendung aufbauen, mit der Menschen sich kommunikativ vernetzen können, um zum Beispiel Hilfe zu holen, dann ist das eine relevante Innovation. Entscheidend ist, was Design für die Menschen beitragen kann, ob es Sinn macht und ökonomisch, sozial, nachhaltig und kulturell bereichernd ist. Man darf Dinge nicht nur als Objekte betrachten, die man formt, sondern muss sich hineinfühlen in den Menschen, der sie benutzt. Produkte sollen einen echten Nutzen haben und auch Freude bereiten. Darum geht es.
W&V Sie sehen also nach wie vor Nachholbedarf?
Esslinger Die Qualität von Design hat sich sicher auf einen durchschnittlichen Standard verbessert. Man kann aber auch zu viel „Form“ machen. Nehmen sie zum Beispiel BMW: Die haben zu viel willkürliches Design, das ist reines Showstyling. Mit markengerechter Emotion hat das meiner Meinung nach relativ wenig zu tun. Audi dagegen hat es geschafft, den hohen Technikanspruch glaubwürdig in ein Design umzusetzen, das zugleich authentisch ist und kulturell inspiriert. Design muss glaubwürdig und relevant sein. Wenn ich mich als Designer damit zufriedengebe, dass Dinge irgendwie funktionieren oder einfach „flashy“ aussehen, dann reicht das nicht, dann mache ich langweilige oder verlogene Produkte, die man an jeder Ecke sieht.
W&V Gerade im Bereich der Unterhaltungselektronik werden Produkte zwar schöner, aber gleichzeitig in ihrer Funktionsvielfalt immer komplizierter.
Esslinger Eine große Herausforderung besteht zum Beispiel darin, den Umgang mit Software zu vermenschlichen. Das Problem ist, dass die Programmierer im Prinzip das machen, was sie am leichtesten programmieren können, und dann hoffen sie darauf, dass die Menschen irgendwie herauskriegen, wie es funktioniert. Software-Produkte müssen so funktionieren, wie normale Menschen seit Jahrtausenden denken, und nicht so primitiv wie ein „digitaler Faustkeil“. Gerade bei Hightech-Produkten wird oft vergessen, Designer von Anfang an in die Konzeption einzubinden, um den Gebrauch und die kulturelle Dimension zu projizieren, bevor überhaupt irgendetwas real gemacht wird. Die Designer müssen das auch einfordern und sich gleichzeitig die professionelle Kompetenz erarbeiten.
W&V Warum werden gerade Produkte der Unterhaltungselektronik immer komplizierter und unübersichtlicher, statt einfacher und bedienungsfreundlicher zu werden?
Esslinger Es gibt immer noch viel zu wenig Konvergenz. Im Home-Entertainment zum Beispiel müssten die Hersteller schon längst passive Übertragungen mit interaktiven Technologien wie Internet und Computing verschmelzen. Das passiert aber nicht genug, weil Fernsehhersteller immer noch „preiskrieg-definierte“ Strategien mit primitivsten User-Interfaces verfolgen. Andererseits sind digitale Betriebssysteme von Microsoft, Apple und erst recht Linux auf Büroanwendungen und Techno-Geeks fokussiert. Also schaffen sich die Leute immer flachere TV-Bildschirme an und kaufen sich auf der anderen Seite für zusätzliches Geld noch einen Computer. Diese Parallelverschwendung bietet enorme Potenziale für Designer. Das große Manko heute ist, dass man lieber an bestehenden Dingen Verkleinerungen und Verschönerungen vornimmt oder sie billiger macht, aber man erfindet nichts, was die Nutzung verbessern würde. Es ist wie so eine Art konzeptionelle und wirtschaftliche Genickstarre. Es gibt viel zu viel Arsenal, aber zu wenig Inspiration.
W&V Dabei gibt es doch die These, dass Design wichtig für den wirtschaftlichen Erfolg ist.
Esslinger Gehirn schlägt Geld, und es zahlt sich aus, wenn man Design von Anfang an in die Prozesse integriert. Dafür hat Apple den Beweis angetreten. Apple hat im vierten Quartal 2008 etwa 60 Prozent des Umsatzes von Dell gemacht, aber fast das Dreifache des Gewinns (1,6 Milliarden Dollar). Apple hat acht Prozent Anteil am Markt der Smartphones, aber 32 Prozent der Gewinne. Und man musste im dritten Quartal 2009 nur etwa sieben Millionen iPhones verkaufen, um mehr Gewinn zu machen als Nokia mit über 100 Millionen Mobiltelefonen. Der Gewinn mit iPhones war mit 1,3 Milliarden Dollar fast so groß wie der gesamte Unternehmensgewinn im vierten Quartal 2008. Warum wachen die anderen da nicht auf? Man muss sich schon wundern, wie verrannt Unternehmen sein müssen, dass sie im selbstgewählten Desaster stecken bleiben. Strategisches Design ist mehr als überlebenswichtig. Es reicht allerdings nicht, etwas zu machen, das aussieht wie Apple, man muss sein wie Apple.