Spiegel Verlag:
Spiegel Online und die Jagd auf Büchner: "Wir sind fassungslos"
Bislang hat sich Spiegel Online aus dem Machtkampf um Wolfgang Büchners digitale Agenda herausgehalten. Aber angesichts der zweiten Anti-Büchner-Petition geben die Onliner jetzt ihre Zurückhaltung auf. Über die crossmedialen Barrikadenkämpfe berichtet W&V-Korrespondentin Judith Pfannenmüller.
Der anhaltende Aufstand der Print-Ressortleiter des "Spiegel" gegen Chefredakteur Wolfgang Büchner und das von ihm präsentierte Digitalkonzept führt nun auch die Mitarbeiter von Spiegel Online an ihre Grenzen. Bislang hatten sich Onliner aus dem Machtkampf zwischen Print und Chefredaktion herausgehalten.
Doch weil die Print-Redakteure nun erneut eine Petition gegen Büchner vorbereiten, um dessen Absetzung zu erzwingen, geben die Onliner ihre Zurückhaltung auf. "Wir sind fassungslos, wie einige wenige für ihren Machterhalt die Zukunft des Verlags verspielen," heißt es bei Spiegel Online.
Die Aufständischen aus dem gedruckten "Spiegel" hatten offenbar angenommen, sie hätten sich durchgesetzt und Büchner werde bereits zur Jubiläumsfeier von Spiegel Online am vergangenen Montag nicht mehr antreten: "Die Zeit der Zombies endet an Halloween," habe es überall geheißen. Doch dann war Halloween, und Büchner war immer noch nicht weg, im Gegenteil, er hatte eine unfallfreie Rede gehalten. Offenbar zum Ärger der Print-Ressortleiter. Denn die haben eine neue Petition aufgesetzt, die erneut die Absetzung von Wolfgang Büchner als Chefredakteur fordert, und die zur Unterschrift in der Redaktion kreist.
Dabei soll auch Druck auf Print-Redakteure ausgeübt worden sein, dieses Schreiben zu unterzeichnen - 91 Prozent sollen dies bereits getan haben. Man fühle sich dabei an Zustände in der DDR erinnert, sagen die Onliner. Die Zustimmung für das Konzept Spiegel 3.0 sei unter Print-Redakteuren viel höher, als dies das Abstimmungsergebnis widerspiegle," ärgern sich die Onliner.
Besonders bitter stößt Spiegel Online die Forderung nach einer erneuten Ausarbeitung eines Digitalkonzepts auf, nachdem man zwei Jahre genau daran gearbeitet hat. Sie wollen, dass es nun endlich zu einer sachlich-inhaltlichen Auseinandersetzung um das Konzept Spiegel 3.0 und zu einer zügigen Umsetzung kommt. Eine Zusammenarbeit der Ressortleitungen von Print und Online sei nötig, auch wenn dies mit einem partiellen Machtverlust für die Print-Ressortleiter verbunden sei.
Es gehe doch vor allem darum, eine sinnvolle Organisationsstruktur zu schaffen, die es ermöglicht, flexibel zu entscheiden, welche Inhalte exklusiv für Print reserviert werden, welche frei Online zugänglich sind und welche als Paid Content Online zur Verfügung gestellt oder angeteasert werden sollen. "Alle Kanäle und alle Möglichkeiten zu nutzen, ist eine Selbstverständlichkeit in der digitalen Welt und kein Drama," heißt es.
Nun fürchtet die Belegschaft von Spiegel Online, dass es einen Chefredakteur von Gnaden der Print-Ressortleiter geben könne. Einem Büchner-Nachfolger, dem es wieder nur um das gedruckte Heft geht, nicht um die komplette Marke. "Wir sind erschüttert von der fehlenden Dialogbereitschaft der Print-Ressortleiter und der öffentlichen Selbstdemontage," sagen führende Mitarbeiter. Bei Spiegel Online schließt man nun ebenfalls nicht aus, mit einer Gegenpetition aktiv zu werden. "Wir wollen, dass das Konzept umgesetzt wird. Denn jetzt sind wir noch in einer komfortablen Situation: Wir können gestalten und sind nicht Getriebene einer digitalen Entwicklung."
Hier die Erklärung der Print-Fraktion im Wortlaut:
"ERKLÄRUNG Die Redakteurinnen und Redakteure des SPIEGEL sind in großer Sorge um die Zukunft des Verlages. Das wirtschaftliche Umfeld, die Umstellung auf den Erscheinungstermin Samstag sowie die Suche nach einem schlüssigen Konzept zur digitalen Zukunft des SPIEGEL und zur Kooperation der Redaktionen von SPIEGEL, SPIEGEL Online und SPIEGEL TV stellen das Haus vor große Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund können die Redakteurinnen und Redakteure des SPIEGEL ihre Aufgaben nur dann erfüllen, wenn sie von einem Chefredakteur geführt werden, der das Vertrauen aller Gesellschafter sowie der Redaktion in seine journalistische und strategische Führungskompetenz genießt. Nun aber gibt es beim SPIEGEL ein offensichtliches Führungsvakuum, nicht zuletzt nachdem öffentlich geworden ist, dass die Gesellschafter bereits Gespräche zur Nachfolge Wolfgang Büchners geführt haben. Das lähmt die redaktionelle Arbeit und verhindert dringend notwendige Entscheidungen. Die Redakteurinnen und Redakteure des SPIEGEL rufen die Gesellschafter daher auf, diesen Schwebezustand unverzüglich zu beenden."