Kommentar:
Satire darf alles. Wirklich?
Neben Kampfaufrufen, Empörung und Rabulistik auf allen Seiten ist in der Diskussion um "Charlie Hebdo" und "den" Islam nicht viel Platz. W&V-Redakteur Markus Weber vermisst in der aufgeheizten Debatte jene Mindestdosis Empathie, ohne die Toleranz nicht möglich ist.
Neben Kampfaufrufen, Empörung und Rabulistik auf allen Seiten ist in der Diskussion um "Charlie Hebdo" und "den" Islam nicht viel Platz. W&V-Redakteur Markus Weber vermisst in der aufgeheizten Debatte jene Mindestdosis Empathie, ohne die Toleranz nicht möglich ist. Sein Kommentar gibt seine persönliche Meinung und nicht die der Redaktion wieder.
Die erste "Charlie Hebdo"-Ausgabe nach den blutigen Terroranschlägen von Paris erschien letzte Woche mit einem weinenden Mohammed auf der Titelseite. Es ist eine gute Karikatur geworden, der Situation angemessen und - gerade im laizistischen Frankreich - auch das gute Recht der Satirezeitung. Vor zwölf Tagen wollten die islamistischen Terroristen das Blatt für immer zum Schweigen bringen. Das haben sie nicht geschafft - und das ist gut so.
Dennoch beschleicht einen stets auch ein ungutes Gefühl, wenn es um Mohammed-Karikaturen geht. In der Diskussion darüber wird immer wild mit Schlagworten wie Meinungsfreiheit und Blasphemie herumgewedelt. Mancher fragt sich: Müssen diese Karikaturen sein? Die Antwort lautet dann oft: Ja, sie müssen sein.
Es geht um Meinungsfreiheit, ja. Doch mir kommt in dem Zusammenhang immer auch dieser Vergleich in den Sinn. Wenn ich Angela Merkel als blöde Kuh bezeichne, gilt die Meinungsfreiheit nicht. Dann greift lediglich § 185 des Strafgesetzbuchs, der Tatbestand der Beleidigung. Sollten wir diesen Paragraphen aus dem StGB streichen, um die durch das Grundgesetz gewährte Meinungsfreiheit zu verteidigen? Wohl kaum. Beleidigungen (juristische Definition: Kundgabe der Miss- oder Nichtachtung) sind nämlich verboten, weil sie das soziale Miteinander stören.
In Deutschland gibt es den berühmten Straftatbestand § 166 StGB. Er verbietet die "Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen". Mit zum Teil guten Argumenten fordern viele dessen Abschaffung. Dabei sollte man jedoch eins nicht aus den Augen verlieren: Für jeden religiösen Menschen wiegt die Verächtlichmachung oder das In-den-Dreck-Ziehen seines Bekenntnisses viel schwerer als jede persönliche Beleidigung.
Muss man es gutheißen, wenn halbnackte Femen-Aktivistinnen im Kölner Dom auf den Altar hüpfen? Natürlich nicht, aber man muss es ertragen. Dasselbe gilt auch für die Mohammed-Karikaturen. Aber man muss eben auch wissen: Für einen Großteil der weltweit 1,6 Milliarden Muslime ist die bildliche Darstellung Mohammeds eines der strengsten Tabus.
Der Islam hat ein Dschihadismus-Problem. Darum muss er sich kümmern. Das ist schlimm genug. Scharfmacher und Hassprediger müssen schonungslos zur Verantwortung gezogen werden. Aber die weit darüber hinausgehende Islamkritik macht auch auf eine ganz andere Sache aufmerksam: Der Westen hat inzwischen längst ein Problem mit den Religionen an sich. "Jede Glaubensrichtung, die sich zu markant äußert, taugt heute zum Skandal; da macht der Katholizismus keine Ausnahme", beschreibt Spiegel-Kolumnist Jan Fleischhauer die Situation. Er hat Recht. Vielen in der Mehrheitsgesellschaft fehlt inzwischen jede Vorstellungskraft, was die Religion im Leben eines Menschen bedeutet. Es erscheint ihnen schon befremdlich und unheimlich, wenn Menschen sich irgendwie anders verhalten als der rationale Erwartungsnutzenmaximierer, dessen Handeln sich durch Algorithmen leicht vorhersagen lässt.
Nach dem Christentum ist der Islam die zweitgrößte Weltreligion. Er gibt Milliarden Menschen Halt, stiftet Sinn und fordert von den Gläubigen soziale Wohltätigkeit ein. Doch wenn Medien hierzulande über ihn berichten, dann fast nur im Zusammenhang mit Steinzeit-Islamisten und Terroristen. Das ist einer freien, demokratischen Presse unwürdig. Eine Folge davon ist: Viele deutsche Eltern lassen ihre Kinder nur ungern mit Ahmet und Kemal zusammen spielen. Wie soll da Integration gelingen?
Vor diesem Hintergrund sind auch die Mohammed-Karikaturen falsch. Denn, wie jeder Verfassungsrechtler weiß: Kein Grundrecht gilt absolut, auch die Meinungsfreiheit nicht. Die Grundrechte stehen in einem wechselseitigen Spannungsverhältnis. Alles eine Frage der Güterabwägung. Mit einer Ausnahme: Die Würde des Menschen ist unantastbar.