#mtm16 zur Marktmacht Mediaagenturen:
Muss Programmatic reguliert werden?
Technik und Daten definieren den Wert von Werbung neu, schaffen neue Machtgefüge. Damit befasst sich ein BLM-Gutachten auf den Medientagen München.
"Werbefinanzierte Medienangebote haben am Ende der Wertschöpfungskette sukzessive mit einem immer geringeren Nettoshare zu rechnen, falls sie nicht in Technologie-Infrastruktur und –kompetenz investieren und neue Möglichkeiten finden, ihre Inhalte marktrelevanter zu gestalten", lautet eine der Kernaussagen des Gutachtens, das das EMR (Institut für Europäisches Medienrecht) im Auftrag der Münchner Medienanstalt BLM erstellt hat.
Bereits in den vergangenen Jahren sei der Nettoshare pro Nutzer in einigen Gattungen deutlich gefallen. Im Programmatic Advertising ist der Wert von Daten, Algorithmen und Technologie inzwischen höher als der Wert des Inventars, das der Vermarkter bereitstellt. "Für werbefinanzierte Medien dürfte damit in Zukunft der Spielraum für die Finanzierung von Content weiter sinken", so das Gutachten.
Die Studie legt dar: Der Zugang zur Vermarktung ist für kleine Anbieter schon heute schwierig. Er könnte in der neuen Welt von Programmatic Advertising für eine noch größere Anbieterschaft einen möglicherweise nahezu unüberwindliche Zugangshürde darstellen.
Trading lässt Umsätze schwinden
Etwa 7 Prozent der Bruttoerlöse und vier Prozent der Netto-Werbeumsätze stammen im Durchschnitt bisher aus Trading-Geschäften der Mediaagenturen. Problematisch sei dabei, dass dieses, den Vermarktern entlockte Werbeinventar im Schnitt zu rund 80 Prozent rabattiert wird. Folge: Steigt das Trading, sinken die Nettowerbeerlöse weiter.
Eine weitere zentrale Erkenntnis lautet: Der Werbemarkt ist durch Intransparenz geprägt. Vor allem neue Erlösmodelle, wie Trading und Programmatic Advertising seien besonders stark von Intransparenz geprägt, sagte Medienanalyst Daniel Knapp aus London beim Panel "Neue Geschäftsmodelle der Mediaagenturen und deren Auswirkungen auf die Vielfalt" auf den Medientagen München, wo das Gutachten präsentiert worden ist.
Gemeint ist: Inzwischen verwischen die Grenzen zwischen Angebots- und Nachfrageseite. Sowohl Mediaagenturen als auch Vermarkter stellen sich im veränderten Umfeld strategisch neu auf und treiben die Entwicklung datengetriebener Werbung von Transaktions- zur Planungslogik voran.
Empfehlung: Neue Geschäftsmodelle wie Programmatic Advertising regulieren!
Das bedeutet, dass Werbevermarkter über alle Mediengattungen hinweg sich nicht mehr auf ihre gattungsinternen Nutzerreichweiten verlassen können, sondern sich durch die Bereitstellung von Daten und Technologie an dieser neuen Logik beteiligen müssen. Nach Meinung des EMR sei es wichtig, die neuen Geschäftsmodelle - und insbesondere Programmatic Advertising - "grundsätzlich nicht unreguliert zu lassen".
Eine "effektive Marktbeobachtung sowie gegebenenfalls eine Regulierung im Bereich der Mediaagenturen und verwandter Marktteilnehmer sei daher im Blick auf die zu verhindernde negative Auswirkung auf die Medienvielfalt nur möglich, wenn es zu einer funktionierenden Zusammenarbeit von Bundes- und Landesaufsichtsinstanzen kommt".
Es müsse zumindest eine Struktur etabliert werden, die so "reaktiv sensibel ist, dass bei aufkommenden neuen Fragestellungen Klärungen und Vereinbarungen herbeigeführt werden könnten. Matthias Knothe, Leiter des Referats Medienpolitik der Staatskanzlei Schleswig-Holstein dagegen sieht "keinen konkreten Regulierungsbedarf". Denkbar wäre laut dem Rundfunkreferenten lediglich eine Erweiterung des Paragraphen 7 im Staatsvertrag, der dann lauten würde: Werbenden UND Mediaagenturen ist der Einfluss aufs Programm verboten.