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Interview:
Mercedes Bunz: "Wer keine Visionen hat, sollte zum Arzt"
Schluss mit der Print-Depression und der Larmoyanz mancher Verleger: Digital-Vordenkerin Mercedes Bunz will mehr Mut im Medienmarkt. "Wir müssen begreifen, dass Zeitungen nicht einfach nur gedrucktes Papier sind, das jetzt aus der Mode kommt. Es sind wertvolle Marken, denen Bürger vertrauen". Das Interview.
Schluss mit der Print-Depression und der Larmoyanz mancher Verleger: Digital-Vordenkerin Mercedes Bunz ruft zu mehr Mut im Medienmarkt auf. "Wir müssen begreifen, dass Zeitungen nicht einfach nur gedrucktes Papier sind, das jetzt aus der Mode kommt. Es sind wertvolle Marken, denen Bürger vertrauen". Das Interview.
W&V Online: Mercedes Bunz, in der vergangenen Woche ist wahrscheinlich auch den unerschütterlichsten Print-Optimisten der Schreck in die Knochen gefahren: "Newsweek" stellt die gedruckte Ausgabe ein und "Guardian" und "Observer" werden wohl bald folgen. Wann sind die ersten deutschen Print-Ikonen dran?
Mercedes Bunz: Man darf diese Meldungen nicht überbewerten. Magazine wie "Newsweek" haben ihr Erscheinen schon immer mal wieder eingestellt, das erleben wir ja nicht erst seit der Digitalisierung – ich denke da beispielsweise an das in den Achtzigern hochgelobte Magazin "Tempo". Es ist einfach so: Journalismus war immer schon ein schwieriges Business. Das wird in unruhigen wirtschaftlichen Zeiten wie diesen nicht einfacher. Dass der Guardian seine gedruckte Version bald aufgibt, war übrigens schlichtweg eine Zeitungsente, die der Konkurrent "The Telegraph" in Umlauf gebracht hat. Eine Meldung, die Chefredakteur Alan Rusbridger im Übrigen umgehend auf Twitter dementierte.
Aber es ist schon richtig: Der Nachrichtenkonsum hat sich drastisch geändert. Doch daran ist nicht nur das Internet Schuld. Ich habe bei meinen letzten Reisen quer durch Deutschland mal drauf geachtet, wo wir überall über den Lauf der Welt unterrichtet werden und dies für Recherchezwecke fotografiert. Ich sage Ihnen, ich war überrascht. Um sich zu informieren, braucht es wirklich kein Internet mehr. Monitore, welche uns mit Nachrichten unterhalten, haben schon lange das Wohnzimmer verlassen. Wir finden sie nicht mehr nur in Flughafenwartehallen, neben den Warteschlangen der Lüneburger Post, auf den einzelnen Gleisen des Frankfurter Hauptbahnhofes oder in der Berliner U-Bahn. Wo man im öffentlichen Raum geht und steht, verfolgt einen Information. Das ist natürlich ein völlig neues Umfeld für den Journalismus. Andere publizistische Bereiche reagieren darauf allerdings weitaus radikaler, beispielsweise das wissenschaftliche Publizieren, dessen Umstellung ins Digitale ich gerade mit einem Forscherteam für die Leuphana Universität evaluiere.
Was läuft im britschen Medienmarkt eigentlich anders als im deutschen? Warum stehen hier in Deutschland beispielsweise Wochenzeitungen wie "Die Zeit" und die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" ziemlich gut da, während der mit ihnen vergleichbare "Observer" in Schwierigkeiten steckt?
Ich denke das hat einen einfachen Grund: Medienmärkte sind national sehr verschieden. Ein Blick über den deutschen Tellerrand zeigt das schnell: Der schweizerische Medienmarkt ist beispielsweise zuletzt stark von Tagesblättern geprägt gewesen, die man umsonst verteilt, wie "20Minuten". Der deutsche Markt ist dagegen sehr stark im Segment Wochenausgaben, und zwar sowohl bei Zeitungen als auch bei Magazinen. Der englische Leser liebt dagegen vor allem gedruckte Tageszeitungen. In Großbritannien gibt es ja weitaus mehr nationale Blätter aus bei uns, dabei ist zugleich ein Land mit weniger Einwohnern. Dennoch existieren parallel nebeneinander Blätter wie "Telegraph", "Times", "Guardian", "Independent", "Standard", "Daily Mail" und "Financial Times", abgesehen von "Sun" oder "Daily Express" und noch einige andere Boulevardblätter. Abgesehen von der sehr erfolgreichen Fachzeitung "The Economist", gibt es dafür Äquivalente wie "Spiegel" oder "Stern" nicht.
Sie selbst waren ja schon beim "Guardian" beschäftigt. Zeit-Online-Chef Wolfgang Blau wechselt im kommenden Jahr als Digitalchef zur Guardian-Gruppe. Was würden Sie ihm raten?
Jetzt muss ich lachen. Einfach weil, wissen Sie, ich denke, man muss Wolfgang Blau nichts raten. Er hat bei Zeit Online wunderbar mit seiner frühen Aufmerksamkeit für Datenjournalismus etc. gezeigt, dass die Richtung, die er verfolgt, ausgezeichnet mit Alan Rusbridgers Ansatz von "Open Journalismus" zusammenpasst. Beide wissen gut: Technologie sollte nicht immer nur als journalistische Bedrohung begriffen werden, sie ermöglicht nämlich ja auch neuen Journalismus, für den wir journalistische Routinen schaffen müssen. Und da hat Wolfgang natürlich beim Guardian ein wunderbares Umfeld. Ich gratuliere! Mit Wolfgang verfolgt Alan aber natürlich auch seine Vision weiter, den "Guardian" zu internationalisieren. Denn wie Sie ja oben richtig angedeutet haben, Herr Zimmer, stimmt es, dass der Verkauf des "Guardian" im Heimatland stetig zurückgeht. Die Auflage des "Guardian" droht augenblicklich unter die 200.000er Marke zu fallen. Das geht aber allen englischen Zeitungen so, nicht nur dem "Guardian". In so einem feindlichen Umfeld eine alternative Zukunftsstrategie zu haben, ist essentiell, um zu überleben.
Und dann gibt es natürlich in der Tat für Verlage noch eine neue zusätzliche Herausforderung: das Mobiltelefon, das unsere Leser fleißig nutzen, allerdings nicht für Werbung. Mit Werbung auf dem Smartphone Geld zu machen, das sieht im Augenblick sogar für Marken wie Google oder Microsoft schwierig aus. Aber hier sind Zeitungsmarken im Vorteil: Sie können zumindest auf das Abonnement-Model zurückgreifen. Dafür will man in der heutigen Informationsüberflutung natürlich aber nur bezahlen, wenn es elegant und einfach den Bedürfnissen entgegenkommt. Hier müssen wir vielleicht über das "Nachrichtenvermelden" noch andere Bedürfnisse entdecken. Das tun Verlage gerade ja auch – ich behandele diese Veränderungen in meinem gerade erschienenen Buch "Die Stille Revolution" genauer. Beispielsweise hofft die Branche ja von Amerika über Großbritannien und Italien bis nach Deutschland, sich zum sogenannten "Bildungshaus" umzubauen und so ein Überleben zu sichern. Diese Hoffnung, das zeigen meine Recherchen, reichen tatsächlich von der "New York Times" über den "Guardian" bis hin zum Holtzbrinck-Verlag. Hat ja auch was für sich: Journalisten sind ja traditionell Fachleute für Wissen und Informationen, da liegt diese Vision in der Tat nahe.
Karl Hans Arnold, der Geschäftsführer der "Rheinischen Post" wünscht sich laut "Medium Magazin" von seinen Verlegerkollegen weniger Larmoyanz und mehr Selbstvertrauen. Hat er Recht?
Absolut.
Arnold hat gerade viel Geld für die "Saarbrücker Zeitung" bezahlt. Würden Sie viel Geld für die Übernahme einer deutsche Tageszeitung bezahlen?
Ich glaube, wir müssen grundlegend begreifen, dass Zeitungen nicht einfach nur gedrucktes Papier sind, das jetzt aus der Mode kommt. Es sind wertvolle Marken, denen Bürger vertrauen. Das ändert sich nicht durch die Digitalisierung, glauben Sie mir. Mit unserem kontinuierlichen Unken verbauen wir uns jedoch die Chance zu entdecken, was unsere Marken in der heutigen Informationslandschaft für die Bürger sein könnten. Und das ist sehr schade. Ich habe bei während meiner Zeit in Berlin als Chefredakteurin von Tagesspiegel.de aus nächster Nähe miterlebt, wie Holtzbrinck mit dem Online-Portal Zoomer.de mutig versucht hat, eine neue Nachrichtenmarke für junge Leute im Netz aufzubauen. Und obwohl die journalistische Qualität des Produktes gut war und man so angesehene Kollegen wie Ulrich Wickert dafür gewann, hatte das Projekt es ungleich schwierig. Es hob nicht ab und wurde nicht angenommen, die Marke war einfach unbekannt. Und so wurde es nach einem Jahr eingestellt. Ich hoffe, wir entdecken den Wert unserer Marken nicht erst, wenn es zu spät ist. Ich würde hier gerne ab und an mal Altkanzler Helmut Schmidts vielzitiertes Sprichwort umdrehen und sagen: "Wer keine Visionen hat, sollte zum Arzt".
Von Mercedes Bunz ist gerade im Suhrkamp Verlag erschienen: "Die Stille Revolution: Wie Algorithmen Wissen, Arbeit, Öffentlichkeit und Politik verändern, ohne dabei viel Lärm zu machen".