Kommentar:
Die schönste Nabelschau im Sommerloch
Sollen Journalisten eigene Marken werden? W&V-Redakteur Frank Zimmer über eine überflüssige Diskussion, die stärkste journalistische Briefmarke Deutschlands und den Unterschied zwischen Eigen-PR und Markenbildung.
Drüben bei Kress ist der Klick-Contest "Die stärkste Marke unter den Journalisten" abgeschlossen worden. Gewonnen hat Tilo Jung mit "486 Upvotes", was besser klingt als "486 Klicks für jemanden, der als Krautreporter eigentlich über derartigen Online-Formaten stehen sollte, aber er selbst findet das irgendwie cool und uns hilft's aus dem Sommerloch".
(Disclaimer: Den Kollegen von Kress gönne ich jeden Klick, das ist nicht das Thema.)
Auf Platz 2 kam Richard Gutjahr. Er hatte im Social Web intensiv um Stimmen geworben; auf seiner offiziellen Facebook-Seite war das in der vergangenen Woche Thema Nummer eins. Thema Nummer zwei waren seine neue Porträtfotos. Auch Richard Gutjahr gehört zu den Krautreportern ("Der Online-Journalismus ist kaputt. Wir kriegen das wieder hin").
Das Kress-Voting ist Teil einer Diskussion, die es in ihrer Selbstverliebtheit wahrscheinlich nur unter Journalisten geben kann. Die Frage ist immer die gleiche: "Sollen Journalisten im Zeitalter der Digitalisierung und des Medienwandels Marken sein?" (Die Gegenfrage müsste lauten: "Was glaubt ihr eigentlich, was relevante Journalisten früher waren?")
Die bequemste Antwort auf die Frage nach dem Journalisten als Marke ist: "Natürlich, klar, Journalist als Marke, muss jetzt sein, allein schon wegen des Medienwandels. Und Aufmerksamkeit ist die neue Währung". Da grunzt das Phrasenschwein. Und jeder Markenstratege wundert sich. Denn was etwa der als Journalist hochqualifizierte Richard Gutjahr unter "starker Marke" versteht, ist vor allem PR, Promotion und Kommunikationsdesign inklusive "G!"-Logo und eigener Briefmarke.
Die Marke Richard Gutjahr ist professionell verpackt, aber für welche Inhalte steht sie eigentlich? Für Apple-Hardware? NSA? Lobbyismus in Brüssel? Zukunft des Journalismus? Silicon Valley? Oder doch eher Arabischer Frühling? Ich weiß es nicht, denn Richard Gutjahr schreibt und dreht über alles Mögliche viel, nur behält man so wenig. Man weiß, dass er als erster Deutscher ein iPad gekauft hat. Auch Tilo Jung vermittelt den Eindruck, dass er gerne Erster in irgendetwas ist, als Erster ein bestimmtes Format produziert und als Erster eine bestimmte freche Frage in der Bundespressekonferenz stellt. Aber das alles taugt mehr zur Anekdote als zur starken Marke.
Das Gegenteil von Richard Gutjahr und Tilo Jung ist übrigens Sascha Lobo. Lobos einziger öffentlicher Superlativ ist die markanteste Frisur, die ein "Spiegel"-Mitarbeiter jemals getragen hat. Aber bei der Arbeit ist der Mann ohne journalistische Ausbildung klassische alte Schule: Er verbeißt sich in Themen, steigt tiefer ein, argumentiert mit literarischer Wucht (wenn er in Form ist), vermittelt immer Haltung. Lobo beschreibt mit den Mitteln des Homme de lettres unsere Zukunft, wo Gutjahr und Jung mit dem jeweils neuesten iPhone nur ihre eigene Gegenwart abfilmen.
Das ist der Unterschied zwischen einer Marke und einer starken Marke. Aber nichts, worüber man abstimmen kann.
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