Wie haben Sie Intel zu so viel vornehmer Zurückhaltung bewegen können?

Intel unterstützt Kreativität und wendet sich damit an eine smarte Community, die mit ihren Arbeiten und ihren Visionen die Welt bewegt. Sie haben in diesem Publikum ein Image als eine Marke aufbauen können, die coole Projekte fördert, das beweisen die Trackings der Markenwerte. Das ist deutlich sinnvoller als ein Logo auf einen Bus zu kleben.

Als Vice 2007 begann mit Video-Dokumentation auf dem Internetkanal VBS.tv extrem schnell zu wachsen, haben Sie gleichzeitig eine Inhouse-Agentur aufgebaut. Welche Überlegungen steckten dahinter?

Es war schnell klar, dass man die Doku-Drehs auf der ganzen Welt nicht allein mit Bannerwerbung refinanzieren kann.  Selbst bei einer Millionenreichweite spielen die Banner nicht genug ein, die Click-Through-Raten sind kaum der Rede wert. Die Preise gerieten durch Automatic Buying noch weiter unter Druck. Nur Bannerwerbung anzubieten hätte sich also nicht gerechnet. Es war klar, dass wir zusätzliche Services anbieten mussten, um Geld zu verdienen. Also haben wir beschlossen, eine Kreativ-Abteilung für Markenkunden einzurichten.

Was bekommen Marken von Vice und was nicht?

Wir machen keine Advertorials, sondern wir konzentrieren uns auf Sponsored Content. Es ist im Grunde so altmodisch wie beim TV-Presenting in den 50-er Jahren, als es hieß ,Diese Soap wurde ihnen präsentiert von Calgon‘. Der Sponsor wird im Vor- und im Abspann genannt und wir behalten die hundertprozentige Kontrolle über die Inhalte. Wenn Kunden das nicht wollen, bieten wir ihnen Werbung an, die speziell auf sie zugeschnitten ist, die aber auch den Geschmack des Vice-Publikums trifft. Diese Werbung wird allerdings nie in den redaktionellen Teil eingebunden. Sie findet auf gesonderten Microsites statt, auf die wir über Bannerwerbung hinweisen.

Es wird im Moment ein riesiges Gewese um Native Advertising gemacht. Unscharf bleibt, was genau damit gemeint ist.  Wo ziehen Sie die Trennlinie zwischen Schleichwerbung und gutem Branded Content?

Unsere Strategie ist es, den Kunden zu sagen, ‚wenn ihr an dem teilnehmen wollt, was Vice als Medienmarke ausmacht, dann geht das nur, indem ihr die Kontrolle abgebt und als Inhalte-Sponsor Teil von uns werdet.‘  Es geht nicht, wenn man in einem Advertorial über die Inhalte mitbestimmen will. Wenn AT&T die App-Technology-Show auf unseren Tech-Kanal Motherboard sponsert, könnte man das auch als Native Advertising bezeichnen, weil es ja im redaktionellen Teil stattfindet. Der Unterschied ist, dass wir die Show nicht für AT&T gemacht haben, sondern deswegen, weil wir sie redaktionell für interessant halten. AT&T präsentiert die App-Show, weil sie zu ihrer Marke passt. So werden sie Teil der Entwickler-Community. Je mehr coole Apps es gibt, desto mehr wird das Smartphone genutzt. Das ist der innere Zusammenhang.

Guardian und New York Times experimentieren ebenfalls mit Native Advertising.  Was halten Sie von deren Gehversuchen?

Jede Medienmarke muss für sich selbst definieren wie weit sie gehen will. Alles ist erlaubt, solange es transparent ist und der Besucher erkennen kann, was er bekommt. Manchmal werden die Native Ads in einer gesonderten Ecke untergebracht, weil die Werbekunden bei den Inhalten mitreden wollen. Es fragt sich, ob sich das wirklich lohnt. Wir führen mitunter harte Auseinandersetzungen mit den Kunden, um  sie davon zu überzeugen, dass sie mehr davon haben, wenn sie uns die Inhalte machen lassen und als Sponsor auftreten. Sie kommen schließlich zu uns, weil wir gute Inhalte haben und eine starke Marke für ein bestimmtes Publikum sind.

Wenn Marken- und Medieninhalte zusammenrücken wird es eine Gratwanderung, bei der vor allem Medienmarken ihre Glaubwürdigkeit riskieren.

Manchmal sind die Medienleute selbst empfindlicher als ihr Publikum. Da wird diskutiert, unter welchen Umständen ein Inhalt zustande gekommen ist und wie er dem Publikum präsentiert wird, wo das Logo zu sitzen hat etc. Für das Publikum zählt aber vor allem, ob man es mit Respekt behandelt und aufrichtig ist. Die Leute haben sehr feine Antennen. Sie spüren, wenn ihnen jemand Bullshit unterjubeln oder etwas verbergen will.  Es ist ok für sie, wenn Intel einen Beitrag über einen Künstler präsentiert, der sie nicht interessiert. Wenn man aber versucht, sie irgendwie zu täuschen, dann regnet es Tonnen von Twitter-Messages und  E-Mails.

Buzzfeed feiert gerade Werbeerfolge mit Formaten wie zum Beispiel der Mini-Kampagne ,25 places that don't look normal but are actually real'.  Vice hatte eine Kampagne ,Mini - all the wrong places'. Ist Buzzfeed für Vice zum ernstzunehmenden Wettbewerber geworden?

Wir werden immer im gleichen Atemzug genannt und sind oft beide in Kampagnenbriefings vertreten. Trotzdem würde ich uns nicht unbedingt als Wettbewerber sehen, eher als Zeitgenossen. Es gibt ja nicht nur eine Kommunikationslösung, sondern einen Mediamix. Buzzfeed hat etwas anzubieten und wir auch, nur eben etwas anderes.

Formate wie ,10 Gründe, um dies oder das zu machen‘ scheinen alles andere aus dem Feld zu schlagen, weil sie so wahnsinnig viral sind. Ist Viralität die neue, coolere Währung?

Marken finden die Vorstellung natürlich aufregend, dass jemand ihren Werbeinhalt millionenfach teilt, ohne dass sie wie vorher Mediaumfelder teuer einkaufen müssen. Ich glaube aber, dass Marken Viralität nicht als einzigen Maßstab anlegen sollten. Es geht um eine tiefere Verbindung zu den Menschen, die über einen flüchtigen Kontakt hinaus geht. Was bleibt von den lustigen, kurzen Viral-Impressionen, die so gerne geteilt werden? Wie lange bleibt die Botschaft haften, und spielt sie eine relevante Rolle im Leben der Menschen? Wenn man sich die wenigen wirklichen viralen Erfolgsstories anschaut, wie zum Beispiel die 'Dove Sketches', haben sie weit mehr zu bieten als Viralität. Sie schaffen über die 68 Millionen Klicks hinaus etwas, das eine tiefere Bedeutung hat - im Fall von Dove die kulturelle Erfahrung, Schönheit auf eine andere Art zu definieren. Vice sieht sich nicht als Marke für flüchtige, lustige, schnelle Viralität. Bei uns wollen Leute tiefergehende Geschichten erfahren.

In welchen Bereichen wächst Vice im Moment am stärksten?

Die Medienvermarktung, die Tätigkeit der Agentur, und das Lizenzgeschäft mit unseren Inhalten spielte bislang eine ähnlich große Rolle. Allerdings hebt das Geschäft mit den Inhalte-Lizenzen gerade ab.  Die Telekommunikationsfirmen wachen auf. Sie wollen ihre mobilen Plattformen mit Inhalten bespielen, weil die Leute immer öfter mobile sind. Das Geschäft mit den Inhaltelizenzen wird also in Zukunft vermutlich schneller wachsen als das Werbegeschäft.

Zur Marke: Vice, 1994 als  Punk-Rock-Fan-Magazin gegründet, ist mittlerweile ein weltweit tätiger Medienkonzern mit 200 Millionen Euro Jahresumsatz und über fünf Millionen YouTube Views pro Woche. Zur Gruppe gehören eine Inhouse-Werbeagentur, ein Musiklabel, eine Event-Agentur, Bücher und Kinofilme. Zur Vice-Welt zählt nach wie vor ein kostenloses Printmagazin mit 1,2 Millionen Auflage weltweit.


Autor: Judith Pfannenmüller

ist Korrespondentin für W&V in Berlin. Sie schaut gern hinter die Kulissen und stellt Zusammenhänge her. Sie liebt den ständigen Wandel, den rauhen Sound und die thematische Vielfalt in der Hauptstadt.