
Kommentar von Thomas Knüwer:
Was deutsche Marketer auf der SXSW zu suchen haben
Wenn man sich in deutschen Startups, Agenturen und Medienhäusern umhört, gibt es keine wichtigere Veranstaltung als die SXSW. Klingt gut, aber das Problem ist: Die deutsche Industrie ist auf der weltgrößten Digitalkonferenz kaum vertreten. Dabei könnten ihre Marketer dort eine Menge lernen, findet W&V-Autor Thomas Knüwer.
"Die Cebit ist das, wo die Zurückgebliebenen hingehen, oder?" So ätzte ein Endfünfziger aus den Niederlanden, mit dem ich mich auf der SXSW unterhielt, der größten Digitalkonferenz der Welt - die parallel zur Cebit im texanischen Austin stattfindet.
Das ist böse.
Na ja. Obwohl...
In Hannover trifft sich die Hardcore-IT, um zu zeigen, was heute ist – in Austin wird diskutiert, wie das Morgen aussieht und in welchem technischen, gesellschaftlichen und moralischen Rahmen es gestaltet werden könnte.
Immer mehr orientiert sich die SXSW mit ihren 34.000 Teilnehmern weg vom Ort der Startups und neuen Anwendungen hin zu einem Ort der Meta-Trends und übergeordneten Themen: Issues statt Apps – von der Veränderung der Städte durch autonome Autos, der Frage, wie Terrorabwehr und Privatspähre in Einklang gebracht werden können bis hin zur Vision, wie uns Roboter einmal pflegen werden.
In jedem der fünf Jahre, in denen ich bisher in Austin war, gab es einen Gedanken, der meine Arbeit veränderte oder ein Gefühl, das ich hatte, manifestierte. Auch in diesem Jahr.
Denn: Das Marketing steht vor einer gewaltigen Herausforderung. Und ich glaube, in Deutschland ist das noch nicht realisiert worden. Diese Herausforderung heißt Millennials. Sie werden in Deutschland als Generation, noch dazu als junge Generation verstanden. Schon letzteres ist falsch, schließlich sind sie am oberen Ende bereits Mitte 30. Was in Austin quer über mehrere Panels und Vorträge klar formuliert wurde, geht aber weiter: Aus der Millennial Generation ist Millennial-Verhalten geworden – eine generationenübergreifende Wertehaltung.
"Bei uns gibt den Begriff Millennial Marketing nicht mehr", sagte beispielsweise Lucie Greene, die Leiterin des weltweiten Innovationslabors von J. Walter Thompson. Die Generation der Millennials habe mit ihrer Kommunikationskraft ihre Eltern von ihren Werten und ihrem Verhalten überzeugt. Motto: Mama nutzt Airbnb, weil es der Sohn tut. Somit ist egal, welches Bevölkerungssegment man erreichen will, die Orientierung an den Millennials ist der Weg, den man gehen muss. Was weiter heißt: Der Großteil deutscher Marketingkommunikation ist nicht mehr zeitgemäß.
Es sind solche Inspirationen, die einen Anreiz der SXSW ausmachen – und natürlich zufällige Treffen und Gespräche, wie der Überblick über die US-Medialandschaft, den mir eine IDG-Mitarbeiterin in der Schlange zu einer Session gab.
Deshalb wohl steigt auch die Zahl der Deutschen Jahr für Jahr. "There are Germans everywhere", meinte ein Amerikaner zu mir. Leider sind sowohl das "Deutsche Haus" wie der Stand auf der Ausstellungsfläche weiterhin traurig und meist sehr, sehr leer – das Informationsmaterial von Ländern und Städten ist absurd schlecht. "Das ist alles sehr schlimm", kommentierte ein hochrangiger Besucher aus dem Bereich Medienpolitik. Was fehlt: Deutsche Unternehmen außerhalb der Startup-, Dienstleister und Medienbranche. Digitalmanager aus der Industrie ließen sich an einer Hand abzählen.
Vielleicht liegt es auch daran, dass der Wert einer Reise nach Texas nicht unmittelbar zu quantifizieren ist. Um zu begreifen, warum die Tage in Austin so wertvoll sind, reicht es nicht, nur einmal hinzufahren. Der erste Besuch ist meist stressig: Man ist überwältigt von der Flut der Veranstaltungen, Firmenrepräsentanzen und Länderhäusern. FOMO in Reinkultur – die Fear of missing out. Beim ersten Mal rennt man noch, um Sessions zu sehen, beim zweiten Mal geht man schnell, beim dritten Mal ist man tiefenentspannt.
Diesen Zustand hat unsere Reisegemeinschaft aus Beratern, Journalisten und einem Fondsmanager längst erreicht. "Ich freu mich schon so auf die SXSW 2017" schrieb jemand in unserer Facebook-Gruppe. Sobald die Termine raus sind, wird unser Airbnb-Haus gebucht.
Der Autor: Thomas Knüwer war Medienredakteur und Digitalexperte beim "Handelsblatt", eher er sich mit seinem Beratungsunternehmen Kpunktnull selbstständig machte. Zu seinen Kunden gehören Opel, Deutsche Post DHL und die Drupa, früher auch Schwarzkopf. Knüwer ist Gründer und Herausgeber des Blogs Indiskretion Ehrensache.