Serie: Tour de Start-ups:
Stuttgart: Überschaubare Schwabenszene
Teil sieben der Tour de Start-ups: Die Autoindustrie dominiert das lokale Business in Stuttgart. Deshalb müssen sich Web-Wirtschaft und Gründer im Kampf um Mitarbeiter und Investorengelder deutlich mehr anstrengen.
Der Stuttgarter Fernsehturm gilt als Vorlage für die Space Needle in Seattle, die anlässlich der Weltausstellung 1962 gebaut wurde. Im Internet-Business herrscht allerdings die andere Blickrichtung. Während in der Stadt im Nordosten der USA Microsoft und Amazon den digitalen Ton angeben, verfügt die Schwabenmetropole über eine sehr überschaubare Internetwirtschaft und eine noch kleinere Start-up-Szene.
Web-Gründungen haben angesichts von Industrie-Riesen wie Daimler, Porsche und Robert Bosch ein Image-Problem. Maria Spilka hat es gewagt und Maedchenflohmarkt.de gelauncht. Die 24-Jährige hat Erfahrung im Online-Business. Zuvor arbeitete sie bei Edelight, einem der bekanntesten lokalen Web-Player, der mittlerweile zum Medienkonzern Burda gehört. Und Spilka ist nicht allein: Die Edelight-Gründer Peter Ambrozy und Tassilo Bestler haben privat in die neue Mode-Plattform investiert. Der Freundeskreis der Gründerin, die an der nahe gelegenen Universität Hohenheim Wirtschaft studiert hat, tut sich immer noch schwer, ihren Schritt nachzuvollziehen. "Ein Einstieg in die Start-up-Szene steht einfach nicht auf der Liste", sagt Spilka. Die Universitäten bereiteten ihre Zöglinge auf die großen Konzerne vor.
"Start-ups sind in Schwaben noch nicht in den Köpfen, deshalb halten wir direkten Draht zu den Hochschulen und halten Vorlesungen", sagt Feliks Eyser, Mitgründer von RegioHelden. Der Spezialist für lokale Online-Werbung hat sich nahe der Innenstadt eingemietet. "Die großen Firmen sitzen alle außerhalb, das macht uns für Start-ups attraktiver", sagt Eyser, der früher für Edelight das Business Development verantwortet hat. RegioHelden stellt auf seinen zwei Stockwerken einigen Neulingen Platz für Schreibtische zur Verfügung. "Dadurch bleiben wir flexibel und bekommen neuen Branchen-Input", sagt Eyser.
Das Recruiting neuer Mitarbeiter gestaltet sich in der Region nicht einfach: Die Automobilindustrie zieht viel Personal ab. "Talentierte Entwickler gehen häufig zu Daimler und Porsche oder verfallen dem Kreativ-Sog aus Berlin", sagt Daniel Bohn, Mitgründer von Conceptboard, einer App für die Zusammenarbeit in Design- und Web-Entwicklungsprojekten. "Glücklicherweise ist Conceptboard international ausgerichtet: Dadurch, dass wir intern Englisch sprechen, haben wir Zugriff auf viele exzellente Bewerber, die kein Deutsch sprechen und es beim schwäbischen Mittelstand schwer hätten."
Das Stuttgarter Start-up Metapaper bringt wiederum auf seiner Plattform für hochwertige Kommunikation auf Papier Industriekunden, Druckereien und Werbeagenturen zusammen. Die Gründer Jörg Schweigert und Axel Scheufelen stammen beide aus der "Papierwelt". Die Papierfabrik Scheufelen liegt etwa 50 Kilometer von Stuttgart entfernt Richtung Schwäbischer Alb. "Ich selber komme aus Nordrhein-Westfalen, wir haben uns aber für den Süden entschieden, weil uns die Infrastruktur gefällt", sagt Jörg Schweigert. Mittlerweile arbeiten in der ehemaligen Altbauwohnung zehn Mitarbeiter. An dem Unternehmen hält ein Papierhersteller aus den USA Anteile. Lokale Geldhäuser hatten die Gründer nicht einmal gefragt. "Risikobehaftete Einlagen – und als solche gelten hier digitale Start-ups – sind nicht das Ding der hiesigen Banken", sagt Schweigert.
Die großen Konzerne und die Old-Economy dominieren die lokale Geschäftswelt: Die Internet-Start-ups haben es in Stuttgart schwer, als ernsthafter Wirtschaftsfaktor wahrgenommen zu werden. Von der Stadt Stuttgart oder dem Land Baden-Württemberg wird wenig getan, um die Gründerkultur zu fördern, also werden die Jungunternehmer selbst aktiv. "Die Gründerszene entsteht in Stuttgart gerade erst“, sagt Sebastian Ballweg, Mitgründer von Autonetzer. So gibt es seit 2011 wieder das Gründergrillen.
Ganz neu ist die Idee allerdings nicht. 2008 fanden in Stuttgart erste Gründertreffen statt. "Wir sind relativ schnell nicht mehr dort hingegangen", erinnert sich Edelight-Macher Bestler. Der Grund ist einfach: Man hat damals schon immer die gleichen Gesichter gesehen.
Auswahl lokaler vielversprechender Start-ups: Autonetzer, ConceptBoard, F(pH)resh, Kekswerkstatt, Mädchenflohmarkt
Auswahl lokaler etablierter Start-ups: Edelight, Internetstores, RegioHelden
Auswahl Geldgeber vor Ort: Business Angels Region Stuttgart, Grazia Equity, LBBW Venture Capital
Auswahl von lokalen Inkubatoren: Keine vorhanden
Standortbedingungen: Vorteile: Zugang zu Ingenieuren und Technikern, viele Hochschulen, wenig Wettbewerb im Recruiting, überschaubare Mieten in Innenstadtlage, wenig Ablenkung. Nachteile: Nachwuchs interessiert sich eher für die Old Economy
Start-up-Wettbewerbe/Events: Gründergrillen, OnlineStammtisch, Social Media Night, Start-up Weekend