Nahostkonflikt:
Liebe statt Krieg: Juden und Muslime starten Online-Kampagne
Der Gaza-Konflikt tobt auch in den sozialen Netzwerken. Fotos von getöteten Kindern und Raketeneinschlägen fachen den Hass an. Doch nicht alle machen mit. "Wir wollen keine Feinde sein", verkünden Muslime und Juden gemeinsam im Netz.
Was ist die Sprache der Liebe? Die Journalistin Sulome Anderson und ihr Freund Jeremy können sich nicht entscheiden. Sie wollen es auch gar nicht. Deshalb sprechen sie einander in ihrer jeweiligen Landessprache an: Sulome nennt ihren Freund "Habibi", er sie "Neshama".
Hinter den exotischen Kosenamen steckt eine politische Botschaft. Denn Sulome ist libanesischer Abstammung. Jeremy dagegen ist Jude. Damit sind sie Teil zweier Kulturen, die sich fremd zu sein scheinen - und seit Jahrzehnten bekriegen. Dass es so nicht sein muss, wollte das Paar aller Welt demonstrieren. Dafür schossen sie ein Foto und veröffentlichten es auf Twitter und Facebook. Es zeigt sie bei einem Kuss, vor ihrer Brust hält Sulome ein Papier mit der Aufschrift: "Juden und Araber lehnen es ab, Feinde zu sein".
He calls me neshama, I call him habibi. Love doesn't speak the language of occupation #JewsAndArabsRefuseToBeEnemies pic.twitter.com/CpqwxNM6ys
— Sulome Anderson (@SulomeAnderson) 13. Juli 2014
Seit das Bild vor rund zwei Wochen online ging, haben zahlreiche Twitter-User es dem Paar nachgetan. Unter dem Hashtag #JewsAndArabsRefuseToBeEnemies zeigen sie, dass Krieg in Nahost nicht gleich eine persönliche Feindschaft bedeuten muss.
Muslimisch-jüdische Paare sind darunter, zum Beispiel ein Jude, der eine iranische Partnerin hat. Ein anderes Foto zeigt eine Familie: Vater, Mutter, ein gelocktes Kind. "Es gibt eine Alternative", steht auf ihrem Papier. Und eine Frau schreibt: "Mutter Jüdin. Vater Palästinenser. Wir leiden in jedem Fall. Hass macht es schlimmer".
Jasmin is Israeli, Osama is Palestinian. They are a happy family !#JewsAndArabsRefuseToBeEnemies pic.twitter.com/Oy2Rjo08V7
— Abraham Gutman (@abgutman) 21. Juli 2014
Und Hass gibt es bei weitem genug, im Alltag und im Netz. Seit Beginn des jüngsten Gaza-Konfliktes Anfang Juli bekämpfe sich beide Seiten auch über die sozialen Medien. Die israelische Armee veröffentlicht Bilder von Waffenfunden oder twittert Grafiken, die darstellen sollen, wie Hamas-Kämpfer sich hinter Zivilisten verstecken. Palästinensische Aktivisten wiederum posten Bilder verstümmelter Kinder und zerstörter Gebäude. Sie nutzten dazu auch die große weltweite Aufmerksamkeit während des WM-Endspiels für ihre Zwecke und posteten Bilder von Verletzten und Toten unter dem Hashtag #GERARG. Bei allem Leid, das es tatsächlich in Gaza gibt, werden auch Fotos instrumentalisiert: Manche Opfer wurden nicht im umkämpften Gaza-Streifen aufgenommen, sondern zumeist in Syrien.
Die jüdisch-muslimische Twitter-Kampagne will den Schreckensbildern etwas entgegensetzen: Liebe, Freundschaft, Vertrauen. So erzählt es Abraham Gutman, der den Hashtag als Erster benutzte. Das von ihm gepostete Foto zeigt ihn mit einer syrischen Kommilitonin: Er im kurzärmligen Hemd, sie verschleiert. "Dania und ich sind uns in politischen Dingen nicht immer einig", sagte Gutman der "Huffington Post". "Aber wir haben es immer geschafft, zu diskutieren, ohne ausfallend oder wütend zu werden."
Abraham Gutman & Dania Darwish both students at Hunter College in NYC
#JewsAndArabsRefuseToBeEnemies
#GazaUnderAttack pic.twitter.com/0jASa42wXb
— Muhanad Alhassoun (@Muhanad97) 23. Juli 2014
Diese Besonnenheit scheint vielen Kommentatoren im Netz zu fehlen. Sulome Anderson, deren Bild die Kampagne erst bekannt machte, schrieb in einem Artikel für das "New York Magazine" über ihr Leben nach dem Hashtag. Nach dem Bekenntnis, einen jüdischen Mann zu lieben, sei sie online als "Schlampe" beschimpft worden. Und Andersons Mutter sorgte sich, dass ihre Tochter bei ihrer nächsten Reise in den Libanon angegangen werden könnte.
Anderson gibt in dem Beitrag zu, dass der Medienrummel ihr und Jeremy Angst mache. Aber Angst, das wissen beide, ist der falsche Weg im Konflikt zwischen Juden und Muslimen. (dpa/fm)