
Jörg Blumtritt: "Wir können unsere Zukunft mitgestalten oder anderen dabei zusehen"
Die "Handelsblatt"-Aktion "Mein Kopf gehört mir" hat zahlreiche Reaktionen provoziert. Auch bei Jörg Blumtritt, der sich seinen Ärger über Teile der Branche von der Seele gebloggt hat. Im Gespräch mit W&V Online erklärt er seinen Standpunkt.
100 Medienmacher und Unternehmer haben sich im "Handelsblatt"-Aktion gegen eine Liberalisierung des Urheberrechts und gegen entsprechende Forderungen der Piratenpartei eingesetzt. Eine Reaktion der Piraten ließ nicht lange auf sich warten und auch das Parteimitglied Jörg Blumtritt, Vorsitzende der AG Social Media, bloggte sich als Privatmann den Ärger von der Seele. Er fand dabei starke Worte. So warf er dem Großteil der Medienunternehmer in Deutschland vor, nicht in der Lage gewesen zu sein, "aus den großartigen Möglichkeiten des Internet etwas anderes zu machen, als Werbefläche für Display-Adds, deren Wert selten über Bruchteile von Cents liegt." W&V Online hat mich Blumtritt darüber gesprochen.
Sie sprechen der Medien- und Werbe-Branche wenig Kreativität und Anpassungsfähigkeit im Internet zu. Was meinen Sie, woran liegt diese Zurückhaltung?
Wir Medienleute sind daran gewöhnt, dass nur wenige Menschen kreativ sein können: Produktion und Distribution von Inhalten war bis vor kurzem schlicht zu teuer für jedermann. Das hat sich grundlegend verändert. Dadurch, dass die Produktion und Veröffentlichung heute fast kostenlos möglich ist, kam es zu einem enromen Schub an Kreativität, da jeder, der möchte, jetzt etwas "ins Netz" stellen kann. Dadurch sind es vor allem die Plattformen wie YouTube, Github, Facebook oder Twitter, auf denen kreative Wertschöpfung stattfindet und Google ermöglicht es, dass jeder Inhalt auch gefunden werden kann. Alle diese Systeme erhalten ihren Wert dadurch, dass sie Menschen vernetzen...
... und durch die enorme Masse an Inhalten?
Auch, aber das knappe Gut sind nicht mehr die Inhalte, sondern die Plattformen mit möglichst großen Vernetzungsmöglichkeiten - wie man mit der Übernahme von Instagram für eine Milliarde Dollar durch Facebook deutlich vor Augen geführt bekam. Dieser Schritt von reinen Inhaltsanbietern zu Vernetzungsplattformen ist für uns Medienleute offensichtlich sehr schwer zu gehen.
Welche Ängste offenbaren sich in dieser Debatte? Sind sie denn nicht teilweise auch gerechtfertigt?
Angst ist ein schlechter Ratgeber. Und ich glaube, viele haben nicht nur Angst, dass ihr Geschäftsmodell sich ändern könnte und sie dadurch einen Nachteil erleiden. Ich glaube vielmehr, dass es die großen, politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen sind, die viele von uns am Horizont erkennen. Rückkoppelnde, selbsterregende und hochvernetzte Systeme, wie wir sie in den Social Media haben in ihrer Unberechenbarkeit durchaus etwas erhabenes. Ich denke, es ist richtig, bei Entscheidungen einen kühlen Kopf zu bewahren aber gleichzeitig flexibel genug zu bleiben, um auf die Veränderungen reagieren zu können.
In der Online-Werbung hätten die Medienunternehmen es nicht verstanden, lukrative Werbemittel zu entwickeln – so ein weiterer Vorwurf von Ihnen. Aber wäre es nicht auch die Aufgabe einer Mediaagentur, die Entwicklung hier voranzutreiben?
Mein Vorwurf richtet sich gegen die Einstellung vieler Häuser, einfach das klassische Verlagsmodell ins Internet zu kippen und sich dann zu wundern, dass die Rechnung nicht auf geht.
Sie haben sich in ihrem Blog sehr deutlich und verärgert über die Aktion geäußert, haben sie irgendwelche Reaktionen erhalten?
Die meisten Leute, mit denen ich gesprochen habe, denken - so scheint mir - tatsächlich eher so wie ich. Sehr viele sind erwartungsvoll, was die Veränderungen betrifft. Einige haben verständnislos reagiert und mir die Halbwahrheiten über die angebliche Abschaffung des Urheberrechts vorgehalten, wie sie im "Handelsblatt" verbreitet wurden. Ich allerdings bin überzeugt, dass es völlig egal ist, welche Meinung der eine oder andere in unsere Branche vertritt - die Entwicklung ist schon so weit, dass wir sie nicht mehr aufhalten werden - wir können also unsere Zukunft mitgestalten, oder zusehen, wie andere das für uns machen.