Serie: Tour de Start-ups:
Hamburg: Gelassenheit statt Hype
An der Elbe tummeln sich Medienhäuser, Agenturen, Werbekunden. Trotz des Umfelds hat sich nur eine überschaubare Gründerszene entwickelt – für manche zum Vorteil.
Der Insolvenzantrag des Betahauses Hamburg Mitte Juni traf die Mieter hart. Hunderte Unterstützer fordern im Netz den Erhalt der Start-up-Wiege. Laut Betahaus-CEO Ruben Schmidtmann war sich damals noch nicht sicher, ob eine Insolvenz abgewendet werden kann. Jedoch feierten die Bewohner die größte Party seit Bestehen. Es hat geholfen: Dank einer "übertragenen Sanierung", also dem Herauskauf der funktionierenden Teile aus der alten Gesellschaft, gibt es das Betahaus immer noch. Und soll sich weiterentwickeln: Betahaus 2.0 - der Countdown für Haburgs Start-up-Hub läuft, heißt es auf der Website.
Trotzdem: Der Bedeutungsverlust bedroht auch die lokale Web-Branche, die mit hanseatischer Gelassenheit auf den Hauptstadt-Hype reagiert. "Wenn man sich die Entwicklung ansieht, werden in Berlin zwar viel mehr Unternehmen gegründet, doch qualitativ braucht sich Hamburg absolut nicht zu verstecken", sagt Moritz Finke, Gründer der Start-up-Jobbörse Applypie. Sogar die Top-Player Google und Facebook unterhalten ihre Deutschland-Zentrale an der Elbe.
"Alle reden von Berlin – aber muss ich deswegen dort sein?", fragt Marc Thomalla, vormals Marketingchef des Speicherdienstes Keeeb und nun Head of Social Media bei der Agentur Brand Affairs. Wer es international zu etwas bringen wolle, müsse ohnehin später ins Valley. Ob die Gründer in Berlin, Hamburg oder Schweinfurt arbeiten, sei egal.
Das sehen nicht alle so: Laut Sebastian Diemer, Gründer der Finanztechnologiefirma Kreditech, denkt das Kapital sehr berlinbezogen und verlegt wie Earlybird oder Partech seine Büros in die Hauptstadt. Auch von der öffentlichen Hand zeigt sich der Gründer enttäuscht: Es kämen so gut wie keine Impulse, auch eine aktive Förderbank wie die Investitionsbank Berlin vermisst er. "Die Hamburger Gründerszene ist leider sehr überschaubar“, resümiert der ehemalige Mitarbeiter des Berliner Inkubators Rocket Internet. Die meisten Start-ups verschwinden entweder nach kurzer Zeit oder sind wie Xing so erfolgreich und gereift, dass der Begriff Start-up kaum mehr passt. Aber es gibt auch positive Ausnahmen: Der Online-Marktplatz im Luxusbereich Luxodo.de erhielt zuletzt 2,4 Millionen US-Dollar an Investmentgeldern.
Allerdings hat ein nicht überhitzter Markt durchaus seine Vorteile: Kreditech rekrutiert etwa Leute, die kein Deutsch können – Firmensprache ist Englisch. "In Berlin wäre das kein USP, hier in Hamburg schon. So können wir uns vor Ort von der Konkurrenz abheben", erklärt Diemer.
Recruiter Harald Fortmann verweist auf die weitaus größere Stärke Hamburgs als Medien- und Agenturstandort. "Gerade für uns Online-Marketing-Start-ups sehe ich nach wie vor einen Standortvorteil von Hamburg gegenüber Berlin", betont Jens Jokschat, Mitgründer von d3media. In der Games-Branche ist längst durch Berliner Player wie Wooga ein Gerangel um die nationale Führung entbrannt. Noch sei Hamburg die Gaming-Hochburg, so Daniel Siegmund. Der Chef des Spielevermarkters GAN glaubt, dass am Ende die Städte sogar enger zusammenrücken.
Auswahl lokaler vielversprechender Start-ups: BlaBlaCar, d3media, Kreditech, Kwizzme, Luxodo, Statista, Stuffle
Auswahl lokaler etablierter Start-ups: 9flats.de, Avocado Store, Bigpoint, Jimdo, Keeeb, Pflege.de, Taxi.de, Web care, Yelp
Auswahl örtlicher Geldgeber: Active VP, CatCap, Cinco Capital, Digital Pioneers, eVentures, Neuhaus Partners, Shortcut, Tivola
Auswahl lokaler Inkubatoren: Fielmann Ventures, GründungsService der HAW, Hanse Ventures
Standortbedingungen: Vorteile: gute Hochschulen, junge, agile Gründerszene, Nachteile: hohe Miet- und Lebenshaltungskosten, defensiv agierende Förderbank
Start-up-Wettbewerbe/Events: Gründergrillen, Online-Karrieretag, Online Marketing Rockstars, Startup Live
Bisherige Folgen: Berlin.