Den ersten Teil der Richtlinien kann man noch nachvollziehen: Facebook will nicht vereinnahmt, als mitwirkender Partner dargestellt werden. Und würde das Ansinnen des Unternehmens nur darin bestehen, Entwickler-Pressemitteilungen mit Überschriften wie "[Tütensuppenhersteller] und Facebook kooperieren in einer exklusiven strategischen Partnerschaft zur weltweit ersten 'Errate den Emulgator'-App" zu verhindern – der Dank der Menschheit, zumindest des journalistisch tätigen Teils, wäre dem sozialen Netzwerk gewiss.

Doch dabei bleibt es nicht.

Denn es folgen Listen. Von Worten, die nicht zu benutzen sind. Worten und Formulierungen, die stattdessen zu nutzen sind. Nach Facebooks Neusprech-Richtlinien sind etwa "passiv", "automatisch", "frictionless sharing", "seamless sharing" oder "auto-share" untersagt. Kurz: Vor allem Begriffe, die Nutzern vermitteln würden, das etwas ohne direkte Aktivität ihrerseits geschieht. Von der Gedankenpolizei genehmigt sind dagegen "social", "deine Geschichte erzählen", "teilen", "mit deinen Freunden" oder "Selbstdarstellung" (Ja, das überrascht nicht). Noch skurriler fallen die weiteren Vorgaben aus: Nutzer etwa sind niemals Nutzer, sondern stets "People" oder "Facebook-Mitglieder". Und diesen gegenüber sind die Begriffe "Open Graph", "Actions“, oder "Objects" strikt untersagt. Man will die Proles ja nicht unnötig irritieren.

Diese Richtlinien, die das Unternehmen von Mark Zuckerberg (Jahrgang 1984, im Übrigen) hier verfasst hat, sind deutliches Zeichen einer doppelplusunguten Kommunikationskultur.

Denn was sich Facebook hier herausnehmen will, würde sprachlos machen, wenn nicht genau das – der Einfluss auf Sprache – das eigentliche Ziel wäre. So gilt es, umso lauter zu werden.

Natürlich sind diese Richtlinien nicht ganz neu, sondern nur eine verschärfte, weiter ausgebaute Form. Und sie gelten nur für Entwickler, nicht Agenturen oder Marken – auch wenn die Grenze zwischen Entwickler und Agentur diffus ist. Und schon bislang halten sich viele ungestraft nicht an Vorgaben Facebooks. Die Richtlinien sorgen also nicht für existenzielle Angst in der Entwicklerszene, auch wenn die angedrohte Höchststrafe – Sperrung -  schon ein wenig so ist, als würde man ihren Kopf an einen Käfig voll hungriger Ratten zwingen. (Ja, ich bin mit den Orwell-Referenzen noch nicht durch.) Facebook wird in der Praxis wohl auch keinen von der Plattform werfen, nur weil er "like" statt "Like" schreibt. (In Anführungszeichen dürfte der Entwickler das Wort übrigens auch nicht setzen.)

Aber die Geisteshaltung dahinter wirkt hochgradig fragwürdig: Die Sprache von anderen kontrollieren und bestimmen wollen. Deutlich über eigene Marken- und Produktschreibweisen hinaus. Dritten Worte verbieten, Formulierungen vorschreiben. Ihnen – letztendlich – die Sprachfreiheit nehmen. Das ist pure Hybris.

Freilich lässt sich gerade bei großen amerikanischen Unternehmen durchaus häufig beobachten, dass sie zu ganz eigener Ausdrucksweise tendieren und gerne etwa in eine Absoluta postulierende Hurra-Sprache verfallen, die dann auch bei Medien und Endkunden verankert werden soll. Es gibt beispielsweise wenige Dinge, die sich so surreal lesen wie Apples Boilerplate. Und es ist nicht untypisch, dass Pressestellen in Abstimmungsprozessen liebevoll Schreibweisen so ändern, WIE sie DaS unterNEHMEN haben will. Änderungen, die Journalisten danach weniger liebevoll, aber ebenso gründlich rückgängig machen.

Sprache hat die Fähigkeit, die Wahrnehmung von Realität und das Denken zu beeinflussen. Und es stellt eine gängige Methode in Politik, Wirtschaft und ja, auch Medien, dar, hiervon für die eigenen Zwecke Gebrauch zu machen. Aber die Grenze des Legitimen ist hier überschritten. Und nichts garantiert, dass diese Geisteshaltung auf Entwickler beschränkt bleibt und nicht auch auf andere Bereiche übergreift.

Es steht Facebook und seiner Edgerank-Polizei natürlich frei, intern zu reden, wie sie wollen. Auch in der eigenen Außenkommunikation kann das Unternehmen seinen Neusprech pflegen. Aber es kann nicht angehen, dass sich Facebook als offene Plattform feiert und gleichzeitig anderen vorschreiben will, was sie sagen dürfen und was nicht. Das offenbart ein Ausmaß von Zwiedenken, das nicht ohne Widerspruch bleiben darf.

Zwei plus Zwei ist nun mal nicht Fünf. 


Autor: Ralph-Bernhard Pfister

Ralph Pfister ist Koordinator am Desk der W&V. Wenn er nicht gerade koordiniert, schreibt er hauptsächlich über digitales Marketing, digitale Themen und Branchen wie Telekommunikation und Unterhaltungselektronik. Sein Kaffeekonsum lässt sich nur in industriellen Mengen fassen. Für seine Bücher- und Comicbestände gilt das noch nicht ganz – aber er arbeitet dran.