Thomas Knüwer zur Causa Schramm:
"Axel Springer hätte seine Nachfolger längst vom Hof gejagt"
Digitaler Exhibitionismus, Sex und angebliche Doppelmoral in Sachen Urheberrecht: Piratin Julia Schramm kommt mit einem "desaströsen" Roman ins Gerede. W&V Online hat mit Medienkritiker Thomas Knüwer über die Hintergründe gesprochen.
"Der Spiegel" watscht "Klick mich. Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin", den ersten Roman von Piraten-Bundesvorstand Julia Schramm als "Desaster" ab, es gebe keinerlei Erkenntnisgewinn für den Leser. Im Vordergrund der Debatte steht allerdings nicht der Inhalt, sondern die Tatsache, dass Schramm den kostenlosen Download des Buches untersagt. Dabei fordert das Parteiprogramm der Piraten, das "nichtkommerzielle Kopieren, Zugänglichmachen, Speichern und Nutzen" von Werken, um "die allgemeine Verfügbarkeit von Information und Wissen" zu verbessern. Auf den ersten Blick liefert Schramm eine Steilvorlage für die Verfechter des Leistungsschutzrechts. W&V Online sprach darüber mit dem Berater und Publizisten Thomas Knüwer.
Herr Knüwer, wie stufen Sie die Haltung von Julia Schramm ein - besonders im Hinblick auf die Einstellung der Piraten zum freien Datenaustausch im Internet?
Thomas Knüwer: Ich verstehe gar nicht, wo hier die Verwunderung herkommt. Frau Schramm und die Piratenpartei lehnen nicht das Urheberrecht ab, sondern den Begriff des Geistigen Eigentums. Dies tue ich übrigens auch und ganz nebenbei sehr, sehr viele deutsche Gerichte. Dass dieser Unterschied nicht in die Köpfe der Journalisten und Politiker zu bekommen ist, zeugt nur davon, wie sehr in Deutschland gesellschaftliche Debatten ausschließlich auf Talkshow-Niveau geführt werden.
Das, was gemeinhin von den geistig Kurzspringenden als Geistiges Eigentum tituliert wird, unterscheidet sich erheblich von materiellem Eigentum. Stehle ich zum Beispiel eine Uhr, so habe ich sie - und ihr Vorbesitzer nicht mehr. Immatierielle Rechtsgüter - und dies ist der akzeptierte Begriff - bleiben dagegen beim ursprünglichen Inhaber erhalten. Deshalb muss die Rechtsprechung entsprechend anders reagieren.
Die gleichen Institutionen, die diesen Unterschied nicht begreifen (oder nicht begreifen wollen), faseln übrigens gern vom Internet als "rechtsfreiem Raum". Merkwürdig: Wieso kann Schramms Verlag dann gegen Raubkopien vorgehen?
Was halten Sie von der Anfrage der Bild-Zeitung, das Buch trotz Springers Positionierung zum Leistungsschutzgesetzt kostenlos auf bild.de anzubieten?
Nimmt noch irgendjemand den Springer-Verlag ernst? Raubkopien gehören für dieses Unternehmen zum Geschäftsalltag. Munter stahl die "Bild" ja zum Beispiel ein Sarrazin-Interview aus "Lettre", dann ein Kachelmann-Gespräch aus der "Zeit" und ein Satire-Motiv eines "Taz"-Redakteurs. Bei Springer wird Wasser gepredigt und Champagner kübelweise gesoffen. Axel Springer hätte seine Nachfolger längst vom Hof gejagt.
Ist von Verlags- und Medienseite aus eine Kampagne gegen diese Einstellung der Piraten zu erwarten?
Die Kampagne gegen die Piratenpartei läuft doch längst. Deutschlands Hauptstadtjournalisten hassen die Piraten, weil diese ihnen nicht so bequeme Zugänge liefern wie die anderen Parteien. Die Art und Weise, wie die Haltung der Partei entstellt und bewusst falsch dargestellt wird, hat mit Journalismus oft nichts zu tun - es ist purer Hass. Erinnern wir uns nur, wie die versammelte Journaille sich erhitzte, als die Piraten während ihres niedersächsischen Landesparteitags ein Drittel (!) des Saals zur privaten Zone erklärten, in der Kameras nicht zugelassen waren - unter anderem aus der berechtigten Angst, es könnten Bildschirme abgefilmt werden. Prompt bildete sich ein wütender Medienmob.