Und deshalb geht es nicht wirklich voran.

Richtig, denn es ist für alle Anbieter schwierig, dieses Problem zu lösen. Man muss gleichzeitig viele Konsumenten und Akzeptanzstellen für die neuen Payment-Systeme finden. Selbst große Firmen wie Otto mit dem mobilen Zahlungssystem Yapital tun sich schwer und müssen einen langen Atem haben. Dabei hat Otto bereits hervorragende Beziehungen zum Handel.

In den USA ist die Bezahlung mit Kreditkarten gang und gäbe. In Deutschland heißt es oft „Bargeld lacht“. Die Scheu vor elektronischen Formen der Bezahlung wird deshalb oft als speziell deutsches Phänomen angesehen. Gibt es da eine kulturelle Komponente?

Die gibt es, die Zurückhaltung ist aber nicht nur kulturell bedingt. Es gibt auch handfeste Gründe. Denn die Kosten, die Händler tragen müssen für Kreditkartenzahlungen, sind ja wesentlich höher als bei der Bezahlung mit Bargeld oder EC-Karte. In den USA, England oder Skandinavien sind die Händler daran gewöhnt, die vergleichsweise hohen Kosten bei der Kreditkartenzahlung zu tragen. Fast alle Mobile-Payment-Lösungen aus den angelsächsischen Ländern setzen auf die Kreditkarte. Ob das Google Wallet oder PayPal ist. Die tun sich in angelsächsischen Ländern gegenüber den Händlern leicht, weil die schon einen erheblichen Anteil an Kreditkarten-Transaktionen haben.

Und in Deutschland?

Hier würde es sich um eine Substitution von Bargeld oder EC-Karte handeln zu einem Mobile-Wallet-System hin, das auf Kreditkarten basiert oder kreditkartenähnliche Transaktionsgebühren hat. Das wollen viele Händler in Deutschland nicht.

Diese Zurückhaltung gibt es aber doch auch bei den Kunden selbst.

Das ist richtig. Es gibt nur eine geringe Bereitschaft der Kunden, Kreditkarten zu nutzen. Entsprechende Studien zeigen das schon seit Jahrzehnten. Als es in den 80er-Jahren in den USA schon selbstverständlich war, seinen Hamburger mit Kreditkarte zu zahlen, hat man das in Deutschland meist verächtlich kommentiert.

Ändert sich das bei der jüngeren Generation?

Was die Kreditkartennutzung angeht: nein. Das ist eine erstaunliche Erkenntnis. Studien haben gezeigt, dass gerade junge, gut ausgebildete Leute Kreditkarten sehr skeptisch gegenüberstehen. Insgesamt steigt die Nutzung der Kreditkarte in Deutschland zwar an, aber doch sehr langsam. Wir reden hier über Verändungen, die nicht über Jahre, sondern eher über Jahrzehnte stattfinden.

Wie ist das zu erklären?

Die Begründung geht offensichtlich in Richtung „Sicherheit“. Viele denken, sie verlieren bei der Bezahlung mit Kreditkarte die Kontrolle über die eigenen Ausgaben. Deshalb sind bei jungen Leuten Prepaid-Verfahren sehr beliebt. Sie geben eine hohe Sicherheit, weil der Betrag begrenzt ist. Und man gibt beim Bezahlen mit Prepaid-Karten nicht ständig irgendwelche Daten preis.

Ein weiteres Problem sind die unterschiedlichen Technologien, die für mobiles Bezahlen eingesetzt werden können: QR-Code, NFC und Bluetooth Low Energy. Wie gehen die Händler damit um?

Die sagen ganz lapidar: Es gibt so viele Technologien, die sie alle installieren müssten, ohne deren Nutzen einschätzen zu können. Also warten sie lieber erst mal ab, bis sich eine Technologie durchsetzt. Diese Position ist absolut verständlich.

Wie schätzen Sie denn die verschiedenen Technologien ein?

Die QR-Technologie ist eine Zwischenlösung, die nie richtig abheben wird, weil sie zu umständlich und zu langsam ist. Die Funk-Übertragungstechnologien Bluetooth und NFC haben beide ihre Vorteile. Ich vermute aber, dass es in Zukunft eine Kombination dieser beiden Lösungen geben wird. Bluetooth hat eine größere Reichweite und ist kostengünstiger als NFC, hat aber bei der Authentifizierung und Identifizierung Probleme, weil man zuerst die beiden Geräte, den Sender und das Smartphone, miteinander koppeln muss. Das geht bei NFC einfacher. Dafür ist die Datenübertragung bei NFC wieder etwas niedriger. Eine Kombination dieser beiden Technologien könnte so aussehen, dass ein Großteil der Transaktionen über Bluetooth abgewickelt wird und über NFC die Authentifizierung und Identifizierung läuft.

In einigen Tagen kommt das iPhone 6 auf den Markt, das voraussichtlich NFC-fähig ist. Könnte dies für einen Durchbruch sorgen?

Die Möglichkeit besteht. Apple ist ein so großer Player und immer in der Lage, Innovationen anzuschieben. Mit Bluetooth und den Beacons hat Apple schon im vergangenen Jahr einen Vorstoß gemacht, der gerade dafür sorgt, dass überall mit Beacons experimentiert wird, sei es in Flughäfen, auf Messen oder in Einkaufszentren. Hier wäre NFC das logische weitere Puzzlestück, um einen eigenen Payment-Dienst anzubieten und generell einen Identifizierungsdienst. Das würde insgesamt dem Bereich Mobile Payment Vorschub leisten.

Der Einzelhandel hat seit längerer Zeit Probleme. Deshalb wird hier intensiv über neue Konzepte nachgedacht. Welche Rolle spielt dabei das Thema „Mobile Point of Sale“, also moderne, mobile Kassensysteme? Hat es wirkliche Relevanz oder ist es eher ein Nebenaspekt?

Es hat Relevanz. Aber weder als Haupt-, noch als Nebenaspekt, sondern als Teil des Portfolios. Der stationäre Handel steht vor riesigen Problemen, da immer mehr Menschen online einkaufen. Der Einzelhandel steht deshalb vor der Frage, wie er sich im digitalen Zeitalter neu erfinden kann. Es gibt da aber auch Chancen, da mit Smartphones, Location-based-Services-Apps und Beacons Technologien zur Verfügung stehen, um alles das, was online gemacht wird, auch am Point of Sale zu tun.

Zum Beispiel?

Einkäufe im stationären Handel waren bislang weitgehend anonym, ein Onlinehändler weiß dagegen genau, wer ich bin, er kennt meine Kauf-Historie, mein Profil, meine Adresse und kann deshalb viel zielgerichteter auf mich zugehen. Wenn es der stationäre Handel schafft, seinen bisherigen Nachteil gegenüber dem Onlinehandel zu kompensieren, indem er den Kunden identifiziert und persönliche Empfehlungen geben kann, dann ist das ein entscheidender Punkt.

Und welche Rolle spielt das Payment dabei?

Payment allein ist noch keine Lösung, sondern es muss einen Zusatznutzen geben – einen rationalen, aber auch einen emotionalen. Es muss Spaß machen. Wenn der Einzelhandel dies hinbekommt, wird Payment Teil dieser Lösung sein. Ohnehin bin ich überzeugt, dass viele Payment-Anbieter bislang zu kurz gedacht haben. Sie haben das Payment digitalisiert, egal mit welcher Technologie, sehen den riesigen Markt an Bargeld-Transaktionen und wollen davon ein Kuchenstück abhaben. Das hat aber nicht funktioniert. Man muss etwas kreieren, bei dem der Kunde sagt, das bringt mir einen Nutzen und/oder das macht Spaß.

Ist die Diskussion über Mobile Payment also zu stark Technologie-getrieben?

Genau. Und auch zu sehr an alten Prozessen verhaftet. Man sieht dies bei den Wallets, die von den Telekommunikationsunternehmen angeboten werden. Zuerst wurde die Kreditkarte durch das Gerät durchgezogen, später mit dem Chip-Verfahren wurde sie in das Kartenlesegerät gesteckt. Und mit NFC bezahlt man, indem man die Karte einfach davorhält. Das heißt, man hat den alten Prozess nur auf eine neue Technologie gehoben. Der Kunde sagt aber, ob ich die Karte nun in ein Lesegerät stecke oder nur davorhalte, das ist mir eigentlich vollkommen egal.

In welchen Branchen könnte sich der "Mobile Point of Sale" am schnellsten durchsetzen?

Es gibt zwei Bereiche, in denen es sich anbietet. Das US-Unternehmen Square und seine Klone haben bereits gezeigt, dass man mithilfe einer relativ einfachen technologischen Innovation einen ganzen Bereich von Klein- und Kleinsthändlern mit einem Schlag auf die elektronische Transaktionsebene heben kann. Hier werden sicherlich noch einige Innovationen kommen. Den Weg in den Mainstream wird der Mobile Point of Sale aber erst finden, wenn es einem der großen Einzelhändler gelingt, eine Lösung anzubieten, die der Kunde akzeptiert, weil sie Nutzen bringt und Spaß macht, wobei Payment eben nur ein Aspekt ist.

Wer sind überhaupt die Treiber im Bereich Mobile Payment? Die Telekommunikationsunternehmen, die Gerätehersteller, der Einzelhandel, die Banken? Wie kommen die zusammen, um gemeinsam die Technologie voranzutreiben?

Das ist eben die Frage, ob sie überhaupt zusammenkommen. In der Vergangenheit war es genau das Problem, dass dieses Öko-System so komplex ist. Und die Player haben unterschiedliche Interessen. Ich vermute eher, dass es die amerikanischen Internet-Unternehmen sind, die auch hier wieder einen Vorsprung haben – ob auf Gerätebasis wie bei Apple oder Betriebssystembasis wie bei Google oder PayPal. Dies hat auch damit zu tun, dass sie ihre Lösungen konsumentenorientierter bauen als Telkos oder Banken.

Das heißt, es wird keinen Konsens hinsichtlich eines gemeinsamen Standards geben, sondern ein, zwei Player werden die Standards setzen und alle anderen ihn akzeptieren.

So könnte es kommen. Man schaue sich nur die Rolle der Telkos an. Die haben mit der SIM-Karte ein Asset für die Identifizierung. Und ihr Bestreben ist es, was nachvollziehbar ist, die neue Generation der SIM-Karte zu versilbern, indem sie Speicherplatz auf der Karte vermieten. So könnten sie neue Einnahmequellen generieren. Allerdings muss dies zuerst der Konsument akzeptieren. Wenn sich aber Apple oder Google durchsetzen, wird sich die Rolle der Telkos reduzieren auf die bloße Funkleitung. Es stellt sich also die Frage, wo die großen Cash-Ströme der neuen Wallets hingehen. Wer die Lösung kontrolliert, erhält natürlich das größte Stück vom Kuchen.

Welche Chancen sehen Sie in diesem Bereich für Start-ups?

Man hört fast jede Woche von einem neuen Start-up, das in diesen Bereich hineingeht. Der Markt ist momentan eigentlich schon übersättigt. In den nächsten ein, zwei Jahren wird es da eine Konsolidierung geben. Die Start-ups zeigen aber immer wieder einige Lösungs-Aspekte für Teilbereiche der Probleme, die sehr innovativ sind. Das reicht dann oftmals nicht aus, um eine marktbeherrschende Position zu erlangen, aber es wird von den großen Playern beobachtet und kann dazu führen, dass Start-ups aufgekauft werden.

Könnten Sie ein Beispiel nennen?

In Österreich soll demnächst das Mobile Wallet Sweep auf den Markt kommen. Die App hat Funktionalitäten, wie man sie bereits von anderen Anbietern kennt, verbindet sie allerdings mit einer Peer-to-Peer-Lösung. Da ist der Übergang von Payment zu Banking gegeben. Ich kann also Geld von einem Smartphone auf ein anderes transferieren und in meiner App verschiedene Konten hinterlegen. Das heißt, man hat eine Art Kontoverwaltung. Hier ist also ein Zusatznutzen gegeben. In den vergangenen Jahren hat sich eine Regel herauskristallisiert: Die Leute bezahlen nicht mit einer Mobile Wallet, weil sie mit einer Mobile Wallet bezahlen wollen, sondern in der Wallet muss irgendetwas sein, das sie gut finden. Und weil sie das haben wollen, bezahlen sie auch damit.


Autor: Franz Scheele

Schreibt als freier Autor für W&V Online. Unverbesserlich anglo- und amerikanophil interessieren ihn besonders die aktuellen und langfristigen Entwicklungen in den Medien- und Digitalmärkten Großbritanniens und der Vereinigten Staaten.