Darob rief der regierende Fürst seine klügsten Gefolgsleute zu sich und beriet mit ihnen, wie man die Einnahmen noch weiter steigern könnte. Einer der Geldeintreiber hatte eine perfide Idee: „Wir könnten die Steuern, die wir von den Medien erheben, ganz einfach steigern, indem wir einen Kooperationspartner dazwischenschalten, der neue Steuern erhebt und an uns abführt. Er macht für uns die Drecksarbeit, wir sind nicht die Bösen und - vor allem - unsere Kunden merken nichts davon.“ Der Fürst war entzückt und erließ alsbald das neue Dekret. Das Geld sprudelte fortan wie aus einem Füllhorn in die Kassen. Er ließ die neuen Taler in aller Eile zum König bringen, der darin badete und seinen Getreuen neue Ländereien versprach.

Soweit das Märchen. Zurück in die Realität. Diesmal erzählt aus der Sicht eines Mediums, sagen wir einmal einer Website. Stellen Sie sich vor, Sie betreiben eine Website mit zielgruppenspezifischem Inhalt. Klein, aber fein. Sie betreiben Journalismus und finanzieren sich aus Werbeeinnahmen. Das funktioniert gut, denn die Website besitzt gute Argumente, um im Haifischbecken des Online-Werbehandels vernünftige Preise zu erzielen. Bis das Dekret des Fürsten der Dunkelheit über die Website hereinbrach.

Friss oder stirb

Zuvor buchte die Mediaagentur direkt bei jener Website. Nun jedoch ist eine Einbuchung nur noch über besagten Kooperationspartner möglich. Er, nennen wir ihn AdShooter, verlangt dafür eine „Aufwandsentschädigung“ in Höhe von 40 Prozent zusätzlichem Rabatt. Und fügt den „Rat“ hinzu, das zu akzeptieren, da ansonsten sofort ein anderer Werbeträger ausgewählt würde. Friss oder stirb.

Das wäre alles nicht weiter erwähnenswert, da dies zu den üblichen Machenschaften der Mediaagenturen zählt, um überhöhte Rabatte an ihren Kunden vorbei in die eigene Tasche zu wirtschaften. Wäre da nicht in diesem Fall eine klitzekleine Besonderheit…

Denn eine der „front offices“ des besagten Medianetworks betreut einen „Mobile-Endgerätehersteller“, der bislang einen stattlichen Anteil der gesamten Werbeerlöse der Website verantwortet. Und das durchaus mit Recht, denn hier findet der Werbekunde einen wichtigen Teil seiner Zielgruppe auf einer journalistisch exzellenten Plattform. Aber damit nicht genug: Das Network betreut neben diesem wichtigen Kunden weitere Key Accounts aus der gleichen Branche, die alle - bislang jedenfalls - jene Website für ihre Werbezwecke nutzen.

Da bereits ein anderer Mediaagentur-Gigant mithilfe desselben Kooperationspartners die Website von den Werbeerlösen abschnitt, bleiben ihr nun zwei Alternativen: Entweder sie lässt sich auf die mutmaßliche Erpressung ein und geht pleite, weil sie ihre Journalisten nicht mehr bezahlen kann und damit wertlos wird. Oder sie bietet AdShooter die Stirn, verzichtet auf einen Großteil ihrer Werbeumsätze - und geht ebenfalls pleite. Welche Alternative würden Sie wählen?

Der Rubikon ist überschritten

Man kann natürlich einwenden, das sei alles nun einmal die natürliche Evolution in einem dynamischen Markt - und für unique, bislang von den Usern nachgefragte journalistische Inhalte sei in einer Welt der digitalen Konsolidierung einfach kein Platz mehr. Man kann es aber auch anders sehen.

Wir dürfen unterstellen, dass der Werbekunde von diesem Rabatt nichts weiß. Und wir dürfen weiter unterstellen, dass Kunden die Entfernung einzelner Websites aus ihren komplexen und ohnehin meist  intransparenten Online-Mediaplänen kaum auffällt.

Derartig tickende Mediaagenturen haben damit endgültig den Rubikon überschritten. Vor lauter Raffgier sind sie bereit, Medien und unabhängigen Journalismus in den Tod zu treiben. Es ist ihnen wohl scheißegal, wer dabei auf der Strecke bleibt. Hauptsache, die eigene Rendite stimmt. Es ist ein oft verantwortungsloses, ein asoziales und schmutziges Geschäft geworden. Dies ist  genau der Schritt, den die Agenturen nie hätten gehen dürfen. Solange sie nur zum Wohl ihrer Kunden Konditionen verhandeln und austauschbare Werbeträger gegeneinander ausspielen, ist dagegen nichts einzuwenden. Unsere Medienvielfalt aber ihrem Renditetreiben zu opfern - das geht zu weit. Das können weder die Kunden, noch kann das unser Werbe- und Werte-System dulden.

Das ist lediglich der Anfang. Aber es ist schon jetzt die Spitze eines Eisbergs, den die Werbekunden längst nicht mehr mit bloßem Auge erkennen können. Wehret diesen Anfängen: Bevor den Werbekunden die Bestimmungshoheit und Verfügungsgewalt über ihre Mediagelder gänzlich entgleitet, müssen sie handeln. Sie müssen sich Transparenz über die Geschäftsgepflogenheiten ihrer Mediaagenturen und deren „Kooperationspartner“ verschaffen. Notfalls bleibt ihnen keine andere Wahl, als den Agenturen das Geschäft zu entreißen und selbst in die Hand zu nehmen, wie es immer mehr Kunden tun.

Es bleibt zu hoffen, dass sich auch der in diesem speziellen Fall betroffene „hinter den sieben Bergen“ ansässige Kunde erkennt und eingreift. Nur so ist ein Happy End möglich: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute…

(Diese Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten. Personen und Handlung sind nicht frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind beabsichtigt. Dem Verfasser liegen alle Details vor.)

Thomas Koch, Agenturgründer, Ex-Starcom-Manager, Wirtschaftswoche-Kolumnist, Herausgeber von "Clap" und Media-Persönlichkeit des Jahres, bloggt für W&V. Er ist "Mr. Media".


Autor: Thomas Koch

Eine Ikone der Branche. Der Agenturgründer und frühere Starcom-Manager kennt in der Media-Branche alles und jeden. Thomas Koch ist Mr. Media.