Gastbeitrag:
Zahlungsmoral: Wenn aus Agenturen Kreditgeber werden
Konzernkunden: Die größten Auftraggeber haben die schlechteste Zahlungsmoral. Vor allem kleinere Agenturen haben darunter massiv zu leiden. Doch solange sich keiner traut, Ross und Reiter zu nennen, wird sich nichts ändern. Ein Gastkommentar von Heiko Burrack.
Agenturen finden besonders die Kunden spannend, die richtig groß sind. Dies ist durchaus verständlich, kann man doch mit solchen Unternehmen meist entsprechend große und spannende Projekte realisieren; arbeitet man für kleinere Klienten, ist dies oft so nicht möglich. Aber: So schön diese große Welt auch ist, so weicht sie später nicht selten dem Entsetzen, sobald man sich die Kehrseite der Medaille anschaut.
Ich meine damit nicht die auf den ersten Blick erkennbaren und oft besprochenen Themen wie lange Projektvorlaufzeiten, geringe Transparenz der Entscheidungen usw. Ein viel massiveres Problem ist die Tatsache, dass Agenturen gerade von Konzernen praktisch dazu gezwungen werden, die Rolle einer Bank einzunehmen. Eine andere Interpretation ist nicht möglich, wenn ein solcher Agenturkunde frühestens nach 120 Tagen seine Rechnung bezahlt. Die Agentur wird damit gezwungen, ihrem Kunden einen Kredit einzuräumen, der dazu auch noch zinslos ist.
Ein solches Verhalten mag für Networks oder große inhabergeführte Agenturen noch leicht lösbar sein. Aber ein kleiner oder auch ein mittelständischer Dienstleister kann bei einem solchen Gebaren schnell ein massives Problem bekommen; es droht die Gefahr, das ihm die Puste ausgeht. Dabei sind die angesprochenen 120 Tage auch nur der ideale Verlauf. Trifft die Rechnung der Agentur auch nur wenige Tage zu spät ein, so verschiebt sich dieser Zeitraum gerne weiter nach hinten. Im schlechtesten Fall wartet man mindestens einen Monat länger auf sein Geld.
Jetzt kann man natürlich einwerfen: Dann ruf doch einfach mal an und frage, wann die Rechnung nun angewiesen wird oder auch wann sie das Unternehmen erreicht hat. Einen Versuch ist dies natürlich wert, aber der Erfolg ist eher unwahrscheinlich. Schließlich spricht man nur partiell mit Menschen; mit Systemen kann man nicht so einfach kommunizieren. Und wenn man doch mal mit einem Verantwortlichen verbunden ist, hat der nicht zwingend ein Interesse daran, eine sinnvolle Auskunft zu geben. Schließlich werden diese Mitarbeiter nicht danach gratifiziert, dass sie die eigenen Dienstleister unterstützen.
Besonders perfide wird ein solches Verhalten aber, wenn die gleichen Unternehmen, die ihre Lieferanten an der langen Hand verhungern lassen, sich auf die Fahnen schreiben, einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft ausüben zu wollen. Natürlich passiert dies nicht aus einer Laune heraus, sondern die "Corporate Social Responsibility" ist quasi in die DNA des Unternehmens eingebaut und langfristig angelegt, so tönt es gerne. Wie schön, dass Papier geduldig ist. An den eigenen Taten kann man sich häufig aber nicht messen lassen.
Was kann man dagegen tun? Natürlich sind die Handlungsmöglichkeiten von Agenturen hier sehr begrenzt. Ober sticht nun mal Unter. Konzerne als Kunden gar nicht mehr ins Visier zu nehmen, ist auch keine Lösung; dies gilt besonders für entsprechend spezialisierte Agenturen. Man kann nur hoffen, dass der eigentliche Boss, nämlich der Endkunde, ein solch widersprüchliches Verhalten sanktioniert. Dazu müsste der Dienstleister natürlich Ross und Reiter nennen, was mit der massiven Gefahr eines sofortigen Kundenverlustes verbunden wäre. Deswegen wird man diesen Weg nur in Ausnahmefällen gehen. Ich gebe zu: Die Hoffnung darauf ist nicht allzu groß, aber sie stirbt zuletzt.
Über den Autor:
Heiko Burrack (geb. 1967) schloss 1995 sein BWL-Studium mit dem Schwerpunkt Marketing an der Uni Göttingen ab. Danach arbeitete der Diplomkaufmann in der Kundenberatung unterschiedlicher Agenturen (Dorfer Dialog, McCann Erickson). Im Jahr 2003 gründete er die Agenturberatung Burrack NB-Advice. Burrack ist auch Autor diverser Fachbücher zu Agenturthemen.