Kommentar:
Warum Aufmerksamkeit erregen nicht alles ist
Aufmerksamkeit ist alles, heißt eine ganz wichtige Maxime der Werbeprofis. Wer nicht beachtet wird, ist tot. Schließlich leben wir im Zeitalter der Aufmerksamkeitsökonomie. Aber Halt, das ist so nicht richtig! Ein Zwischenruf von Markus Weber.
Wenn es wieder einmal Kritik hagelt an einer neuen Werbekampagne, sich Menschen darüber empören oder vielleicht auch nur Hohn und Spott für sie übrig haben, dann ist die häufigste Reaktion der verantwortlichen Abteilungen in den Unternehmen die Aussage: "Wir haben es geschafft, mit der Kampagne Aufmerksamkeit für unsere Marke zu generieren. Damit haben wir eines der Kernziele erreicht." Es ist mittlerweile völlig unbestreitbar: Wir leben im Zeitalter der Aufmerksamkeitsökonomie. Von den Konsumenten in irgendeiner Form beachtet zu werden, ist Unternehmen heute wichtiger als jede neue Marktanalyse oder die xte Neueinschätzung zur Angebots- und Nachfragesituation.
Aufmerksamkeit ist alles. Das klingt herrlich nachvollziehbar und einfach. Richtiger wäre es allerdings, zu sagen: Ohne Aufmerksamkeit ist alles nichts. Denn Aufmerksamkeit zu erlangen ist das eine; die Marke in ihrem Kern zu stärken das andere. Beides kann unmöglich miteinander gleichgesetzt werden. Media-Markt zum Beispiel ist einer der lautesten Marktschreier unter den Werbungtreibenden. Das war und ist auch richtig so. Die Elektronikkette hat früher ganz herausragende Werbung gemacht. Sie war laut – und gut. Dann betrat irgendwann ein Möchtegern-Spaßvogel namens Oliver Pocher die Werbebühne, der – so hatte man das Gefühl – mehr sich selbst als die Handelskette in Szene setzte. Heute – viele schlechte Kampagnen später - bewegen sich, was die Popularität angeht, beide in etwa auf demselben Niveau.
Ein ganz ähnliches Risiko geht zurzeit auch die Supermarktkette Edeka ein - mit ihrem viel gepriesenen "Supergeil"-Video. Mehr Aufmerksamkeit geht nun wirklich nicht! Und dennoch: Edeka weiß vermutlich selbst am besten, warum es Friedrich Liechtensteins Popularität derzeit nicht auch noch in den TV-Werbeblöcken auskostet. Aufmerksamkeit ist wichtig. Aber wenn die Marke gestärkt werden soll, ist nach wie vor Substanz entscheidend – auch in der Kommunikation. Wenn Aufmerksamkeit wirklich alles wäre, dann müsste der Nestlé-Konzern bei jedem Palmöl-Shitstorm, der über seine Marke Kitkat hereinbricht, in Jubel ausbrechen.
Nein. Marken leben davon, geliebt zu werden. Und zwar idealerweise von allen Menschen innerhalb der Zielgruppe. Natürlich braucht eine Marke auch Ecken und Kanten – sprich: Profil. Doch sollte man jenes PR-Geschwafel nicht für bare Münze nehmen, das einem die Schwächen potenzieller Hate-Brands am Ende noch als besonderes Markenprofil verkaufen möchte. Ganz nach dem Motto: der Hass mehrt unseren Stolz nur noch. Unternehmen könnten in dieser Beziehung manches von den großen Persönlichkeitsmarken lernen. Von jenen, die es geschafft haben, zur unumstößlichen Ikone zu werden: James Dean etwa, oder Audrey Hepburn, oder – in einer ganz anderen Kategorie – eine Persönlichkeit wie Nelson Mandela. Sie alle waren einfach so gut, dass sich kein Mensch ihrer Wirkung völlig entziehen konnte oder kann. Man muss sie gewissermaßen mögen. Auch Marken sollten sich – um mit Mercedes zu sprechen - immer nur am (Aller)Besten orientieren. Sonst an nichts. Vor allem nicht bloß an Konkurrenten, die selber keine gescheiten Einfälle haben.
Es gibt sie durchaus – die Kampagnen, die man offenbar einfach mögen muss. Wenn auch sehr selten. Supergeil scheint auf den ersten Blick eine davon zu sein. Allerdings sagt die Kampagne am Ende wesentlich mehr aus über deutschen Humor als über die Leistungsfähigkeit der Kreativen hierzulande. Und vor allem – und das ist ihre große Schwäche – sie sagt nichts aus über die Marke Edeka. Aufmerksamkeit erregen ist eine Sache, eine (nachhaltige) Wirkung erzielen - das ist etwas ganz anderes.
Da fällt mir ein: Über die Oben-Ohne-Protestaktionen von Femen wird in jüngster Zeit auch immer seltener berichtet.