Jean-Remy von Matt attestiert seiner Branche zudem "einen gigantischen Selbstbetrug", wenn es um sogenannte virale Werbung geht, die sich nur noch durch die Konsumenten und die sozialen Netzwerke verbreiten soll: "Der Lockruf lautet: Reichweite ohne Mediakosten", höhnt der Top-Kreative. "Dafür werden massenhaft Virals produziert, die in Wirklichkeit keine sind, weil sie bei ein paar Tausend Abrufen liegen bleiben, was natürlich in keinem Verhältnis zu den Produktionskosten steht." Von Matt nennt es "die Gnade des Internets: Die Algorithmen machen Misserfolge unsichtbar. Wir sehen immer nur die Handvoll Erfolge, aber nie das Massengrab der Flops."  

Auf die Frage, ob er heute noch mal eine Karriere als Werber starten würde, sagte von Matt dem "Handelsblatt Magazin": "Ich weiß nicht." Es beruhige ihn sehr, dass sich seine beiden Söhne "für alles interessieren, nur nicht für Werbung".

Seine Agentur Jung von Matt feiert dieses Jahr ihren 25. Geburtstag und gilt als deutschlandweit höchstdekorierte Kreativ-Agentur. Und bei aller Kritik an der Werbebranche: Loslassen kann Jean-Remy von Matt nicht, einen Abschied von Jung von Matt könne er sich nicht vorstellen. "Ich lese diese Der-Alte-konnte-nicht-loslassen-Storys mit großem Respekt. Umso mehr bemühe ich mich, eine meinem Alter angemessene Rolle zu finden und der neuen Führung nicht im Weg zu stehen." Es nerve ihn jedoch, sich dauernd für sein Alter rechtfertigen zu müssen: "Als mich zuletzt ein Branchenjournalist fragte, ob ich überhaupt noch fit genug bin für den Job, habe ich wortlos mit 30 Liegestützen geantwortet. Der Nächste, der fragt, kriegt 50."

Das Interview führte Thomas Tuma, Chefredakteur des Handelsblatt Magazins und stellvertretender Chefredakteur des Handelsblatts. In der Titelgeschichte erfährt man, welche Note Jean-Remy von Matt seiner eigenen Agentur aktuell gibt, was sein neues Berliner Haus mit den Brüsten seiner Frau zu tun hat, womit er Alt-Kanzler Gerhard Schröder Angst einjagte, wieso Frauen sich in der Werbebranche schwerer denn je tun und warum er auf Bettelbriefe von alten Kollegen nie eingeht.


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Autor: W&V Redaktion

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