Gastbeitrag:
Haben Pitches ausgedient? - Die Suche nach Alternativen
Die Zahl der Pitchgegner ist unter den Werbern zuletzt deutlich gestiegen. Nun spricht sich mit Cherrypicker-Chef Oliver Klein sogar ein Pitchberater für Alternativen aus. Seine These: Je komplexer Briefings werden, desto weniger Sinn machen Pitches.
Die Zahl der Pitchgegner ist unter den Werbern zuletzt deutlich gestiegen. Nun spricht sich mit Cherrypicker-Chef Oliver Klein sogar ein Pitchberater für Alternativen aus. Seine These: Je komplexer Briefings werden, desto weniger Sinn machen Pitches. Klein stellt fest: "Ein Pitch ist immer ein künstlicher Prozess, der mit der Praxis nichts zu tun hat." Pitches hätten in vielen Fällen zwar durchaus weiter ihre Berechtigung, doch sehr häufig seien Chemistry Meetings oder Workshops die deutlich bessere Alternative, schreibt Klein in seinem exklusiven Gastbeitrag für W&V Online.
Von Oliver Klein
Aktuell ist eine enorme Bewegung in der Agenturbranche zu verzeichnen. An allen Ecken und Enden rufen Kunden Agenturen in den Wettbewerb. In Gesprächen höre ich von einigen sehr bekannten Agenturen, dass sie derzeit in über fünf Auswahlprozessen gleichzeitig involviert sind. Und meist geht es dabei um typische Pitches, sprich: Es wird mehreren Agenturen gleichzeitig eine Aufgabe gestellt.
Wird eine neue Agentur gesucht, denken viele Marketeers und Pressesprecher gleich daran, welche Aufgabe sie in das Pitch-Briefing schreiben wollen. Aber kaum ein Kunde hinterfragt, ob der Pitch das sinnvollste Instrument ist, um einen neuen Agenturpartner zu finden.
Das Format Pitch kommt jedoch schnell an seine Grenzen. Ein Pitch ist immer ein künstlicher Prozess, der mit der Praxis nichts zu tun hat. Denn anders als im Tagesgeschäft arbeiten hier nicht Kunde und Agentur eng und in verschiedenen Teilschritten gemeinsam an der Lösung einer Aufgabe. Vielmehr wird erwartet, dass drei bis vier Agenturen (hoffentlich nicht mehr) in vier bis sechs Wochen (hoffentlich nicht weniger) eine Lösung entwickeln, die der Kunde und seine bisherige Agentur mit der geballten Kompetenz in den letzten Monaten und Jahren nicht hinbekommen haben.
Wenn es um reine kreative Ideen geht und auch ein sehr guter Creative Brief vorliegt, mag das funktionieren und kann sogar sehr sinnvoll sein. Aber wo ist das heute noch der Fall?
In der aktuellen Zeit, die kommunikativ mehr durch Wandel und Unsicherheit als durch klare Richtungen und große Visionen geprägt ist, sehen Pitch-Aufgaben meist ganz anders aus. Sehr häufig werden komplexe Kommunikationslösungen ausgeschrieben, für die eine Agentur sehr viel Vorwissen und sehr unterschiedliche Kompetenzen sprich Menschen und ausreichend Zeit benötigt. Außerdem haben viele Marken heute deutlich an Relevanz und Attraktivität verloren. Und anstatt, dass das Marketing dann intern an Lösungen arbeitet, wird auch mal schnell die Positionierung und Ausrichtung der Marke mit in den Pitch gegeben.
Damit konfrontiert muss sich dann eine Agentur im Pitch mit diesem meist komplett neuen Thema und einer für sie neuen Aufgabe auseinander setzen.
Was kommt dann dabei raus?
- Strategien, für die sich 1-2 Planner in ein paar Tagen in einen meist für sie neuen Markt, in ein neues Produkt und in neue Consumer Insights eindenken mussten und ohne das Fachwissen des Kunden nutzen zu können. Oder sie sind einfach auf Basis von kreativen Ideen nachträglich erstellt worden.
- Ideen, die auf dieser Basis entstanden sind, ohne dass überprüft wurde, ob diese Strategie auch wirklich valide und tragfähig ist. Vielleicht sind sie auch vom letzten Pitch noch übrig und nur neu verpackt.
- Ein Maßnahmenkatalog, der noch überhaupt nicht ernsthaft auf seine Wirksamkeit überprüft werden konnte. Denn die Agentur hatte noch keinerlei Informationen, was beim Kunden in der Vergangenheit funktioniert hat und was nicht.
Bei der dann stattfindenden Pitch-Präsentation schaut sich der Kunde dann von den drei bis vier Agenturen mehrere Kampagnen und viele Ideen auf weit über 1000 Charts an und ist total überfordert. Denn die Strategie kann er in dieser Situation nicht wirklich prüfen, so dass am Ende meist die buntesten Bildchen und die lustigste Idee gewinnen.
Nachdem dann die Zusammenarbeit mit der neuen Agentur gestartet ist, wird man alles noch einmal mit Abstand betrachten, verwerfen und von vorne anfangen. Von den Ideen die ich in einigen hundert Pitch-Präsentationen sehen und erleben durfte, sind nur deutlich unter 10% überhaupt umgesetzt worden. Tendenz abnehmend.
Sind Pitches am Ende? Ein ganz klares Jein.
Wenn ein Unternehmen, eine Marke, eine Fachabteilung eines Kunden genau weiß, in welche Richtung es gehen soll und in der Lage ist, dies auch in Form eines kurzen, knackigen Creative Briefs auf den Punkt zu bringen, sind Pitches weiterhin ein sehr gutes und sinnvolles Instrument, um die Kreativität von Agenturen im Wettbewerb zu überprüfen.
Wenn die Aufgabe aber komplex oder die Strategie nicht klar ist, dann hat der Pitch als Auswahlinstrument definitiv eine Menge von Nachteilen – für beide Seiten.
Wie sollte man aber dann vorgehen?
Unseren Kunden empfehlen wir dann, sich lieber intensiv mit dem Agenturmarkt und Agenturen im Vorfeld zu beschäftigen, um herauszufinden, wer erst einmal grundsätzlich für die Aufgabe und den Scope of Work geeignet ist. Hiernach sollten sie sich mit einigen Agenturen und deren Kernteams treffen und schauen, ob auch die gemeinsamen Vorstellungen, Typen, Einstellungen und Ansprüche zueinander passen. Dies nennen wir Chemistry Meetings.
Workshops
Anstelle eines Pitches kann es Sinn machen, sich im Anschluss dann mit ein oder zwei Agenturen ein bis zwei Tage lang einzuschließen und gemeinsam zu arbeiten. Dabei wird man viel mehr über die Agentur und das Team erfahren, als in einem Pitch. Wenn dies gut funktioniert hat man schon mal eine sehr gute Basis und eine hohe Chance, dass die Zusammenarbeit klappt.
Testprojekte
Alternativ dazu empfiehlt es sich, soweit ebenfalls machbar, anstelle der künstlichen Situation Pitch einen sehr praxisnahen Prozess aufzusetzen, indem man ein bis drei Testprojekte durchführt. Herbei kann man auch Kriterien überprüfen, die im Pitch nicht funktionieren, wie Beratungskompetenz, Sorgfalt, Termintreue oder Kostensicherheit.
Es mag merkwürdig klingen, dass sich ausgerechnet cherrypicker gegen Pitches ausspricht. Unser Anspruch ist es, Partnerschaften zu fördern und dafür stets die jeweils besten und geeignetsten Mittel und Wege im Sinne unserer Kunden zu finden. Dafür sind wir da und das treibt uns an.