Bezahlung in der Werbung:
Das Gehaltsmodell von 21Torr: Vorbild für die Agenturbranche?
Monatliche Gewinnbeteiligung für alle statt Fixgehalt oder Boni: Die Digital-Agentur 21Torr hat sich schon vor zehn Jahren für ein ungewöhnliches Entlohnungsmodell entschieden. Agentutrchef Marcus Reiser erklärt es auf W&V Online.
Marcus Reiser ist Geschäftsführer der Digitalagentur 21Torr mit Hauptsitz in Reutlingen und beschäftigt rund 70 Mitarbeiter. Reutlingen? Das war ein Fall für unsere Serie "Werber in der Walachei", in der wir Agenturen abseits der klassischen Werbemetropolen vorstellen. Durch den Kontakt mit 21Torr wurden wir auf das Gehaltsmodell der Agenturen aufmerksam und haben Marcus Reiser gebeten, sein Entlohnungssystem auf W&V Online vorzustellen.
Solidarität und Gewinnbeteiligung: Das Gehaltsmodell von 21Torr
von Marcus Reiser
Als Anfang 2002 das Platzen der Dotcom-Blase noch hör- und spürbar durch die Internet-Branche hallte, traf dies auch unsere 1994 gegründete Agentur. Obwohl wir finanziell auf sicheren Füßen standen und unsere Auftragslage stabil war, mussten wir doch einige Kollegen entlassen; unseren Standort in Berlin gaben wir im darauf folgenden Jahr auf.
Wir haben jedoch schon damals angestrebt, mit unseren Mitarbeitern dauerhafte und vertrauensvolle Bindungen aufzubauen – genauso wie wir auch mit unseren Kunden langfristige, solide Kollaborationen anstreben. Die Krise war deshalb ein guter Anlass dafür, über ein neuartiges Vergütungsmodell nachzudenken, das unseren Mitarbeitern ein branchenübliches Gehalt ermöglicht und zugleich kurzfristige Schwankungen in der Auftragslage abfedert. So wollten wir vermeiden, dass das Unternehmen in Momenten geringeren Umsatzes über Gebühr durch Personalkosten belastet wird.
Deshalb enthalten seit 2003 die Gehälter der Mitarbeiter von 21Torr einen variablen Anteil, dessen monatliche Höhe sich daraus berechnet, wie viel Gewinn in den beiden Vormonaten erwirtschaftet wurde. Von diesem Gewinn werden natürlich auch Rücklagen gebildet, Fortbildungsmaßnahmen finanziert usw. Eine Hälfte des Gewinns wird allerdings vollständig an die Mitarbeiter ausgeschüttet, so dass jeder Mitarbeiter den gleichen prozentualen Anteil seines variablen Gehaltsanteils erhält.
Die genaue Höhe der Ausschüttung kann dabei unterschiedlich ausfallen, da die Höhe des variablen Anteils je Mitarbeiter verschieden ist. Sie bestimmt sich zum einen durch die Höhe des Grundgehalts, zum anderen aber auch durch Position und Aufgaben im Unternehmen: Wessen Arbeit größeren Einfluss auf Umsatz und Gewinn der Agentur hat, hat üblicherweise auch einen größeren variablen Anteil im Gehalt.
Gegenüber den von vielen Unternehmen praktizierten jährlichen Boni hat unsere monatliche Gewinnbeteiligung den Vorteil, dass für die Mitarbeiter die lange Wartezeit entfällt und sich solch kurze Berechnungszeiträume leichter transparent darstellen lassen: Die Mitarbeiter werden jeden Monat vor der Überweisung der Gehälter über die Höhe der Ausschüttung informiert.
Diese Transparenz ist uns wichtig, denn ein Modell wie das unsere, dass die Mitarbeiter am Erfolg des Unternehmens beteiligt, ihnen aber auch einen Teil der Risiken aufbürdet, macht es notwendig, dass die Mitarbeiter großes Vertrauen darin haben, dass die Geschäftsführung ehrlich und wirtschaftlich sinnvoll agiert – und dass ihnen die Möglichkeit gegeben wird, dies auch über die konkrete Berechnung der Auszahlung hinaus nachvollziehen zu können. Deshalb werden die aktuellen Unternehmenszahlen auch bei Mitarbeiterversammlungen noch detaillierter vorgestellt, und jeder Mitarbeiter hat die Möglichkeit, die Zahlen bei der Geschäftsführung einzusehen.
Für 21Torr können wir heute feststellen, dass das ursprünglich aus einem Krisenmoment geborene Konzept sich als nachhaltig sinnvoll erwiesen hat. Nicht nur haben wir seit Jahren keine Mitarbeiter mehr aus wirtschaftlichen Gründen entlassen müssen, wir sind auch wieder weiter gewachsen: 21Torr ist seit 2010 erneut mit eigenem Büro und einer Unit auch in Stuttgart vertreten, im vergangenen November haben wir dort neue, ganz auf unsere Bedürfnisse zugeschnittene Büroräume bezogen.
Möglich wurde das auch, weil wir nach wie vor wirtschaftlich unabhängig sind und so ohne Druck von außen Entscheidungen treffen können, die zum Wohle der Agentur und ihrer Mitarbeiter sind.