Julia Peglow-Peters:
"Alle wollen so sein wie Apple – aber keiner tut was dafür!"
Die Münchner Agenturchefin Julia Peglow-Peters kann es nicht mehr hören: Alle schwärmen von der starken Marke Apple, jeder träumt davon, genau so einen Erfolg zu haben. Aber kaum jemand will etwas dafür tun.
Ich kann es nicht mehr hören. Es vergehen kein Marketing-Meeting und kein Kundentermin, in denen nicht das Beispiel Apple zitiert wird. Alle wollen so sein wie Apple! Ein revolutionäres Produkt am Start haben, das mit einem Gerät mindestens fünf Branchen gleichzeitig neu erfindet, weil es ein Computer, ein Telefon, eine Uhr, ein Musikplayer, eine Kamera und ein Navi gleichzeitig ist.
Ein Interface entwickeln, das über Nacht das Usability-Konzept eines ganzen Gerätesegments neu erfindet, weil es keine schnöden Knöpfe und Tasten mehr hat, sondern ein intuitives Display, das, wie man in ca. 300.000 Filmen auf Youtube sehen kann, auch schon ein zweijähriges Kind bedienen kann.
Ein Haben-Wollen-Produkt auf den Markt werfen, für das die Leute nicht nur Schlange stehen, sondern sogar rund um den Globus vor dem Store übernachten, um am nächsten Morgen der erste zu sein, der damit an der Schlange vorbei aus dem Laden läuft. Das Objekt der Begierde in ein Packaging Design zu verhüllen, dessen "Unboxing Experience" sogar einen eigenen Namen trägt.
Und eine Launch-Kampagne dazu, die auch noch ganz nebenbei die Art und Weise verändert, wie man über technische Produkt spricht: denn hier wird nicht technisch argumentiert. Hier werden, wie bei der Einführung des iPod, tanzende Menschen gezeigt, als schwarze Silhouetten, vor farbigen Hintergründen. Mehr nicht. Keine guten Argumente, keine Zahlen.
Aber was passiert hier? Welcher mächtige Hebel ist dabei am Werk? Was macht Apple so besonders? Das Produkt, sein Interface, seine Begehrlichkeit, seine Verpackung UND die Kommunikation dazu?
Die Antwort lautet: Es ist 100 Prozent Design drin.
Produktdesign in jeder abgerundeten Ecke, User Centered Experience Design in der Bedienbarkeit, Interface Design in jedem Icon, Packaging Design in der Verpackung, Communication Design in der Kampagne. Und das ist nur möglich, weil bei Apple das Thema Design, wie in keinem anderen Unternehmen, konsequent und bis in die letzte Haarspitze Chefsache ist. Weil ein Apple Produkt die ganze Kette hindurch designgetrieben gedacht ist, seine Form, die Art, wie Menschen es benutzen und wie es mit seinen Nutzern spricht und wie über das Produkt gesprochen wird.
Die deutschen Unternehmen, Ingenieure, Entwickler, Vorstände, Projektleiter, Marketingleiter, Kommunikationsmanager, die sagen, sie wollen so sein wie Apple, müssen hier einer ganz neuen Denke Raum geben: Design Thinking. De-sign ist dabei im ureigenen Wortsinn zu verstehen: Bezeichnung. Bebilderung. Visualisierung. Dem Gedanken eine Form geben. Ein Szenario abbilden und ihm eine Form verleihen: Wie werden die Menschen das Produkt später nutzen? Wie soll es sich anfühlen? Welche Form soll es haben? Wie soll es mit ihnen sprechen? Wie verändert es das Leben der Menschen? Welche Story erzählt das Produkt über die Marke? Und welche Story erzählen die Menschen darüber ihren besten Freunden?
Es ist eine andere Denkart als die rein rationale Vorgehensweise. Und sie erfordert Mut, Bauchgefühl und radikale Entscheidungen. Design Thinking macht Produkte und Technik menschlich, nahbar und begehrenswert. Im Land der Ingenieure muss das in vielen Unternehmen erst noch als wertvoll erkannt werden.
W&V-Gastautorin Julia Peglow-Peters ist Geschäftsführerin der Marken -und Designagentur Zeichen & Wunder in München. Sie ist Expertin für Designstrategie und Creative Content. Zu ihren Kunden zählen u.a. BMW, München Tourismus, SAP, Sporthaus Schuster und Gore-Tex.